Das Pestzeichen
Angst.
»Da er sich nicht gezeigt hat, wird seine Seele erlöst und ins Himmelreich aufgefahren sein«, erklärte Bendicht und lächelte verschmitzt.
Nun lachte auch Susanna und blickte aufgeregt zu Urs, der einen Schritt auf sie zuging.
Bendicht sah die Bewegung aus dem Augenwinkel, und sein Kopf ruckte herum. »Nicht! Fasst euch nicht an!«, rief er aufgebracht. »Ihr müsst euch noch beherrschen«, befahl er barsch und erkannte, wie die Freude über den Schatz in Susannas und Urs’ Augen erstarb.
Kapitel 40
Susannas Gefühle waren zwiegespalten. Sie hatte in der Nacht kein Auge zugemacht. Auf der einen Seite konnte sie ihr Glück kaum fassen, und sie hielt den Krug fest umklammert. Das Bewusstsein, dass sie die umherirrende Seele des Schatzgeistes befreit hatte, wie ihr Bendicht versichert hatte, ließ ihr Herz vor Freude ebenso hüpfen wie der Gedanke, dass sie nun ein sorgenfreies Leben führen konnte. Doch auf der anderen Seite beherrschte sie die Angst, sich mit der Pest angesteckt zu haben und sterben zu müssen. »Was ist der Schatz für mich dann noch wert?«, jammerte sie leise. Sie unterdrückte das aufkommende Selbstmitleid und nahm sich vor, ihr Versprechen einzulösen und ihren Vetter Arthur in Brotdorf aufzusuchen. Ihm werde ich vor meinem Tod ein besseres Leben ermöglichen , schwor sie sich in Gedanken. Und wenn ich es nicht mehr kann, muss Bendicht dafür sorgen , überlegte sie. Susanna würde den Heiler in die Pflicht nehmen, sich im Falle ihres Ablebens um ihren Vetter Arthur zu kümmern.
Vorsichtig schielte sie zu Urs, der seit dem Schatzfund kaum mit ihr gesprochen hatte. Susanna beschlich das Gefühl, dass auch er sich über ihr Glück nicht freuen konnte. Der Schatz gehört uns beiden , dachte sie, aber sie wagte nicht, es ihm zu sagen. Stattdessen hoffte sie inbrünstig, dass er sie bat, mit nach Trier zu kommen. Dann bin ich nicht allein, wenn der Herrgott mich zu sich ruft , dachte sie und weinte leise.
Auch Urs hatte in der zurückliegenden Nacht nicht einen Augenblick geschlafen, denn zu viele Gedanken schwirrten ihm durch den Kopf. Er freute sich für Susanna, dass sie nun reich war und unbeschwert leben konnte, doch gleichzeitig verdammte er den Schatz. Das Geld würde Susanna die Freiheit einräumen, zu tun und zu lassen, was sie wollte. Er hingegen konnte ihr nichts bieten, womit er sie für sich gewinnen konnte. Bevor sie den Schatz gefunden hatten, wünschte er sich nichts sehnlicher, als dass sie seine Gefühle erwiderte. Doch nun hatte sich alles geändert. Daran, dass Susanna krank sein könnte, wagte er nicht zu denken, und er versuchte die Angst davor zu verscheuchen. Urs schaute traurig zu Susanna, die den Krug in den Armen hielt. Der Mut, sie zu fragen, ob sie mit ihm gehen wolle, hatte ihn verlassen.
Bendicht ließ immer wieder seinen Blick prüfend über Susannas Körper schweifen, ob er Anzeichen der Pest entdecken konnte. Wenn er dann weder Verdickungen an ihrem Hals noch sonstige Merkmale feststellen konnte, atmete er erleichtert auf. Da er Urs und Susanna nicht aus dem Blick ließ, konnte er die Gedanken, Sehnsüchte und Ängste der jungen Menschen von ihren Gesichtern ablesen. Auch wenn die Tage der Ansteckung noch nicht vorbei waren, so hätte er beide nur zu gerne geschüttelt und zusammengeführt, aber das mussten sie allein schaffen. Allerdings wollte er sie wenigstens in die richtige Richtung stupsen, jedoch ohne Susanna dabei zu berühren. So ging er lächelnd auf das Mädchen zu und bat: »Darf ich mir die Münzen genauer ansehen?«
Susanna stand auf und reichte ihm den Krug. Bendicht nahm mehrere Münzen heraus und betrachtete sie.
»Du weißt, dass du mit den Münzen nicht viel anfangen kannst, da ihre Währung nicht mehr gilt?«
Erschrocken blickte das Mädchen ihn an.
»Du musst sie gegen gebräuchliche Münzen umtauschen«, erklärte er.
»An wen muss ich mich deshalb wenden?«, fragte Susanna, die für die Ablenkung dankbar war.
»Das Problem ist nicht, jemanden zu finden, der dir die Münzen umtauscht. Du musst jemanden treffen, der ehrlich zu dir ist. Gold ist rar geworden, sodass dein Fund mehr wert ist, als er im Augenblick scheint. Überall gibt es Lügner und Betrüger, für die ein unerfahrenes Mädchen leichte Beute ist.«
Kaum hatte Bendicht seine kleine Rede beendet, sprang Urs auf. Bendicht wollte bereits losbrüllen, als sein Neffe zwei Schritte vor Susanna stehen blieb.
»Wenn du mit uns nach Trier kommst, würde ich
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