Das Phantom im Schokoladen-Museum
einen der Dü-B-Töpfe in die Hände
kriegen, werden sie die Zusammensetzung feststellen und ihrerseits
weiterforschen. Santanz stünde dumm da. Der schöne Forschungs-vorsprung wäre
dahingeschmolzen. Ich halte Dü-B übrigens für verfrüht. Nicht geeignet als
Massennahrung — jedenfalls nicht vor dem Jahre 2300. Aber das ist meine private
Meinung. Gabys Vater hat andere Sorgen.“
„Herr Glockner untersucht also
den Diebstahl“, stellte Tim fest. „Gibt es schon einen Verdacht?“
„Ja. Santanz beschäftigt unter
anderem einen Nachtwächter namens Marcello Picpoctono, einen Italiener. Er
hielt sich in der Nähe des Forschungskellers auf, als dessen — sonst streng
verschlossene — Tür für zwei Minuten offen stand. Seitdem fehlen die Töpfe.
Bemerkt hat man das erst am nächsten Mittag, als die Gär-Geräusche schwächer
waren als sonst. Tatsächlich gärten dann nur noch sieben Töpfe statt deren
zehn.“
„Interessant“, meinte Tim.
„Sowohl wissenschaftlich wie
auch kriminalistisch“, nickte Karls Vater. „Unser Kommissar hat alle Hände voll
zu tun. Deshalb konnte er leider nicht bleiben.“
9. Halunke und Affe
Marcello Picpoctono hatte
schwarze Locken, schwarze Augen und keine weiße Weste. Aber er trug einen
weißen Sommeranzug, als er an diesem Abend gegen 22.20 Uhr das Gasthaus
SCHWERTSCHLUCKER betrat.
Es handelt sich um ein
Landgasthaus und liegt etwas außerhalb der Millionenstadt. Das SCHWERTSCHLUCKER
ist beliebt als Ausflugsziel. Sogar bis Mitternacht. Seinen Namen kann niemand
erklären — nicht mal ein Spezialist für die Erforschung von Gasthaus-Namen.
Schwerter gibt es hier nicht. Geschluckt wird allerdings viel: Gekautes und
Flüssiges.
Marcello sah sich um.
Die holzgetäfelte Wirtsstube
war gut zur Hälfte gefüllt.
In einer Nische, hinten, saß
ein einzelner Gast.
Zögernd ging Marcello auf ihn
zu.
Der Gast aß Linsensuppe mit
Speck. Dazu trank er dunkles Starkbier. Sein Gesicht war länglich und gebräunt,
der Scheitel korrekt wie bei einem Landwirtschaftsminister, der noch nie eine
Kuh gesehen hat. Unter der Adlernase hing ein wolliger Schnauzbart, blond, an
den unteren Spitzen jetzt dunkel vom Bier.
„Herr von Roggen?“, fragte
Marcello.
„Signore Picpoctono?“, fragte
Helmerich von Roggen, der echt adelig war, wovon er freilich nicht leben
konnte.
Beide nickten. Roggen machte
eine einladende Geste. Der Italiener nahm Platz.
„Bitte, reden Sie mich nicht
mit Signore an. Ich fühle mich nicht mehr als Italiener. Ich bin schon 17 Jahre
hier und spreche perfekt Deutsch, wie Sie merken. Nach Italien fahre ich nicht
mal im Urlaub. Zu laut ist es mir dort, zu teuer, zu verschmutzt. Ich liebe
Norwegen.“
„Aha“, sagte Roggen. Mit der
Zungenspitze stieß er ein paar Linsen aus den sperrigen Abständen zwischen
seinen Zähnen.
Sie musterten sich.
Ein heimatloser Halunke, dachte
Roggen.
Ein blaublütiger Affe, dachte
Marcello.
Roggen schob seinen Teller
beiseite.
Marcello winkte der Bedienung
und bestellte einen großen Schnaps.
„Wie man ihn in Norwegen
trinkt.“ Er lächelte Roggen zu.
Der lächelte nicht, sondern
beugte sich vor und dämpfte die Stimme.
„Der Chemie-Konzern Lifestop
kann nicht selbst an Sie herantreten, Signore, wie Sie verstehen werden. Ich
bin der Mittelsmann. Ich bin befugt, die Dü-B-Töpfe anzukaufen.“
Marcello nickte.
„Die Vergütung, die dabei für
mich abfällt“, fuhr Roggen fort, „fließt nicht in meine Tasche. Nein! Ich lasse
das Geld einer Partei zukommen. Als Parteispende. Sie verstehen?“
„Sie sind Idealist“, stellte
Marcello fest.
„Das sind wir von Roggens seit
511 Jahren.“
„Meine Vorfahren waren
Nachtwächter, Pizza-Bäcker und Banditen.“
Marcellos Schnaps wurde
gebracht.
Der Italiener roch daran, trank
aber nicht.
Roggen zog ein Kuvert aus der
Brusttasche und schob es über den Tisch.
„Hier sind 15 000 Mark. Die
Anzahlung.“
Marcello überlegte, ob er am
Tisch nachzählen sollte oder lieber auf der Toilette.
„70 000“, meinte er, „waren
abgemacht.“
„Den Rest erhalten Sie bei der
Übergabe.“
„Meinetwegen. Morgen bekomme
ich einen neuen Wagen. 1,6 Liter, geringer Verbrauch, grüne Metallic-Lackierung
und weinrote Polster. Etwas gebraucht, freilich.“
„Der steht Ihnen bestimmt“,
sagte Roggen.
Marcello schob die Brauen
zusammen. „Die 15 000 reichen gerade, um den Wagen zu bezahlen. Mit dem Rest
des Geldes mache ich im Herbst eine Ferienreise. Raten Sie,
Weitere Kostenlose Bücher