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Das Phantom im Schokoladen-Museum

Das Phantom im Schokoladen-Museum

Titel: Das Phantom im Schokoladen-Museum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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Krückstock und humpelte eilig zum Haus Nr. 19.
    Sie hatte keine Ahnung, wer dort
wohnte. Das war auch nicht wichtig. Wer Gaby aus der Ferne sah, halbnah oder
ganz nah, musste sie für eine Mittsiebzigerin halten, die etwas gehbehindert
war, vermutlich infolge eines Hüftleidens.
    Gaby trug eine grau-blonde
Perücke, die nach total echten Haaren aussah. Alle Lieblichkeit im Gesicht war
weggeschminkt. Stattdessen waren Falten skizziert, Tränensäcke angedeutet und
mit Gummi-Einlagen in den Backen ihr Gesicht aufgepumpt.
    Die Verwandlung war ein
Kunstwerk.
    Eva-Sofia Nöppl, eine
Maskenbildnerin am Staatstheater — mit der Gaby seit der letzten
Schulaufführung von Shakespeares Sommernachtstraum sehr gut bekannt war hatte
in die Hände geklatscht und war begeistert gewesen von ihrem eigenen Werk.
Heute am frühen Vormittag war das zustande gekommen.
    Gaby war nun gehüllt in ein
braunes Kleid mit passender Jacke, trug uncharmante Wollstrümpfe — dünne,
natürlich — und klobige Halbschuhe mit Senkfuß-Einlagen.
    Niemand hätte vermutet, dass
diese Person ein bildhübsches Mädchen ist.
    Gaby wartete also vor Nr. 19,
stützte sich auf den Stock und hielt die ziemlich große Handtasche am Henkel.
    Ein Taxi näherte sich.
    Poldine Flinkmöwe winkte mit
dem Stock.
    Tippgen hielt, blickte durchs
Fenster und überlegte, ob er aussteigen müsse.
    Dann bequemte er sich, öffnete —
nach mürrischem Gruß — den hinteren Schlag; und Gaby stieg ein.
    Etwas schwerfällig, natürlich.
Es war kein leichtes Hüftleiden.
    „Und wohin?“, quäkte Tippgen
über die Schulter.
    „Erst mal holen wir meinen
Neffen Michael ab“, verkünderte die Dame Poldine Flinkmöwe.
„Professor-Windbeutel-Straße 11. Michael steht sicherlich schon vor der Tür.
Sie erkennen ihn daran, dass er gut genährt ist.“
    Den Kraftdroschken-Fahrer
interessierte das nicht.
    Das Taxi rollte zu der
angegebenen Adresse.
    Poldine beugte sich vor und
blickte Tippgen von schräg hinten an.
    „Ah, jetzt erkenne ich Sie“,
kam es tantenhaft über ihre welken Lippen.
    „Was?“, fragte Tippgen. Es
klang schrill. Das lag an seiner Knabenstimme. Irgendwie hatte er den
Stimmbruch verpasst.
    „Es heißt: Wie bitte?“,
belehrte ihn Poldine. „Ja, ich erkenne Sie. Aber Ihnen bin ich sicherlich aus
dem Gedächtnis gefallen. Kein Wunder! Bei den vielen Gesichtern — die zu Ihnen
einsteigen. Bestimmt Tausende in der Woche, nicht wahr?“
    „Oft nur ein paar Dutzend“,
erwiderte er mürrisch.
    „Dann müssten Sie eigentlich
noch wissen, dass Sie mich gestern von Schloss Romanstein abgeholt haben. Mich
und meine Schwester Edeltraut. Ihr Wagen hatte eine Panne. Das linke Hinterrad
ging plötzlich ab. Nein, das rechte.“
    „Das war ich nicht“, sagte
Tippgen.
    „Hat ja auch niemand behauptet.
Das Rad ist ganz von allein abgegangen. Es war wohl nicht richtig verschraubt.“
    „Ich meine, ich war es nicht,
der Sie abgeholt hat.“
    „Nein? Ich bin mir fast sicher.
Ich erkenne Sie an Ihrem Haarschnitt.“
    „Ich war gestern nicht bei
Schloss Romanstein.“
    „Vielleicht ist es Ihnen nur
entfallen, wo sie doch jede Woche Tausende befördern.“
    „Ich habe gestern nicht
gearbeitet.“
    „Aber spätnachmittags haben Sie
uns abgeholt. Wir standen neben der Auffahrt zum Schloss.“
    „Zum Teufel!“, sagte Tippgen.
„Gestern habe ich blau gemacht. Nix Arbeit. Nix Malloche! Sie verstehen? Ich
war in der Stadt. Habe mir Museen angesehen — und mit den Beinen gebaumelt.“
    „Sie brauchen mich nicht
anzuschnauzen“, sagte Poldine. „Nur, weil ich Sie wieder erkenne. Ah, dort
hinten steht mein Neffe.“
    Klößchen lümmelte an einem
Zaun, stützte die Ellbogen auf die Latten und hielt das Gesicht in die Sonne.
    „Ist tatsächlich gut genährt“,
sagte Tippgen.
    Das Taxi stoppte.
    Klößchen grinste herein, nickte
Tippgen zu, zwängte sich in den Fond und versetzte Tante Poldine einen
Neffen-Kuss auf die Wange.

    Der Schmatz war bis zum Ende
der Straße zu hören.
    „Nett, Tantchen, dass du mich
mitnimmst. Wie geht’s deinem Rheuma?“
    „Dem geht’s leider gut, Neffe.
Und mir deshalb nicht so gut. Außerdem will man mir einreden, dass ich die
Menschen nicht mehr erkenne.“
    Mit der Handkrücke ihres Stocks
tippte sie dem Fahrer auf die Schulter. „Worauf warten Sie?“
    „Soll ich weiterfahren“,
seufzte er. „Wenn ja, wohin?“
    „Natürlich zu meinem zweiten
Neffen. Was dachten Sie?“
    „Holen wir ihn ab, Tante
Poldine?“, fragte

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