Das Prometheus Projekt
gegen die gefalteten Hände.
„Mr. Wilson?“, fragte Schmidtbauer leise. „Hauptkommissar Sehner ist da.“
Wilson blickte abwesend auf, als sei er in einer anderen Welt versunken gewesen. Er schlug das Kreuzzeichen, stand auf und trat aus der Bank. Und tatsächlich deutete er dabei noch einen Kniefall Richtung Altar an. Sehner schob die Unterlippe vor. Etwas irritierte ihn an diesem Ritus. War Wilsonwirklich so fromm? Sein Gehabe wirkte auf Sehner eher einstudiert als gläubig.
„Herr Sehner, das ist Mr. Wilson. Er ist amerikanischer Staatsbürger und arbeitet für das DHS.“
Sehner fühlte sich unbehaglich in der Nähe des Amerikaners. Wenn jemand Wilson eine zerlumpte braune Mönchskutte über die Schultern streifte, konnte er in einem Film über einen fanatischen mittelalterlichen Prediger die Hauptrolle spielen. Sehner überwand sich und reichte Wilson die Hand. „DHS?“, fragte er.
„United States Department of Home Security“, erklärte Schmidtbauer, „das Heimatschutzministerium der USA.“
„Ich habe davon gehört“, antwortete Sehner. „Haben Sie Angst, islamistische Terroristen könnten unsere Pfarrer abmurksen?“ Er verzog den Mund zu einem Lächeln, aber heraus kam nur eine Grimasse. Sein Witz kam nicht an, der Amerikaner schien keinen Spaß zu verstehen.
„Sie sollten das nicht auf die leichte Schulter nehmen, Herr Sehner. Wir befinden uns in der Tat auf einem Kreuzzug gegen das Böse, auch wenn viele Menschen in Ihrem Land darüber Witze reißen. Sie besitzen zu wenig Informationen, um das enorme Ausmaß der Gefahr beurteilen zu können.“
Wilson sprach perfekt Deutsch, wenn auch mit leichtem Akzent, stellte Sehner erstaunt fest.
„Mister Wilson möchte sich ein Bild von der deutschen Polizeiarbeit machen“, mischte sich Schmidtbauer ein.
„Von mir aus“, brummte Sehner. An den Amerikaner gewandt sagte er: „Ich hoffe, Sie haben einen guten Magen.“
Damit ließ er die beiden Männer stehen und folgte Engelmann, der seinen Koffer zur Apsis geschleppt hatte, wo seineMitarbeiter bereits auf ihn warteten.
Sehner betrat den Altarraum und schaute sich suchend um. Der Pathologe deutete mit dem Zeigefinger nach oben. Es dauerte einige Sekunden, bis Sehner begriff, was er sah. Als erstes fiel ihm die Schrift auf. Quer über die hölzerne Brust des gekreuzigten Jesus hatte der Irre zwei Worte eingeritzt:
KEINE SEELE
Damit stand zumindest fest, dass es sich um denselben Täter handelte. Jetzt sah der Kommissar auch, was mit dem Priester geschehen war. Ein Teil des Ellenbogens ragte unter dem Querbalken des Kreuzes hervor. Sehner ging um das Kruzifix herum, das freitragend hinter dem Altar aufragte.
„Siehst du die Beschädigungen am Fuß der Jesusfigur?“
Sehners Blick folgte Engelmanns ausgestrecktem Arm.
„Sieht so aus, als habe er zunächst versucht, die Figur vom Kreuz zu lösen. Als er das nicht schaffte, hat er sich etwas anderes überlegt.“
Sehner blickte an der Rückseite des Kruzifixes hinauf. Der Täter hatte den Pfarrer mit einem Nylonseil an die Rückseite des Kreuzes gebunden und ihm zusätzlich große Nägel durch die Handwurzeln getrieben. „Heilige Scheiße!“, entfuhr es Sehner.
„Ich bitte Sie, nicht zu fluchen. Wir befinden uns in einem Gotteshaus.“
Sehner drehte sich überrascht um. Wilson war lautlos hinter ihn getreten.
„Woran ist er gestorben, Doktor?“, fragte der Amerikaner. „Ist er erstickt?“
Engelmann schüttelte den Kopf. „Kann ich noch nicht sagen. Aber ich tippe mal darauf, dass er ihm vorher das Genick gebrochen hat. Sehen Sie den verdrehten Winkel, in dem der Kopf herabhängt?“
Wilson trat interessiert näher. Die Brutalität des Mordes schien ihm keine Probleme zu bereiten. Sehner dagegen war erschüttert. Das war der dritte Mord innerhalb von vier Tagen, und wahrscheinlich nicht der letzte. Zumindest würde er diesen Fall nicht alleine lösen müssen. Die Verbrechen schrieen geradezu nach einer Sonderkommission.
Wilson schlug das Kreuzzeichen und murmelte: „Ego te absolve.“ Er hatte Sehners Blick bemerkt. „Beten Sie nicht, Mister Sehner?“, fragte er.
Sehner zuckte mit den Schultern. „Schon lange nicht mehr. Dem Pfarrer hat es auch nicht geholfen.“
„Nur Gott weiß, warum sein Diener diese Strafe verdient hat.“
Sehner schwieg. Der Amerikaner wurde ihm immer suspekter.
„Auf jeden Fall muss ich Sie enttäuschen, Mister Wilson. Hinter der Tat steckt kein arabisch anmutender
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