Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
seiner Tasche eine Handvoll Münzen auf den Tisch. Ihm gegenüber saß ein schlanker Herr, der die Bank führte. Selbst im Sitzen konnte man erkennen, dass er von ungewöhnlich großer Statur war. Seine Perücke war üppig und fiel weit über die Schultern. Dazu trug er einen stark taillierten Gehrock in einem ungewöhnlich schlammigen Farbton, wie Gärtner ihn zuvor an Kleidung noch niemals gesehen hatte. Bevor der Bankier Gärtner das Livret, seinen Satz Karten, überreichen konnte, trat plötzlich von hinten die Marquise de Langallerie an den Tisch.
Während sie ihre linke Hand auf die rechte Schulter von Gärtner legte, zupfte sie mit der anderen Hand am Arm des neben ihr stehenden Orffyreus. »Mein verehrter Orffyreus, man erzählt sich, Ihr beherrscht die Mathematik ganz außergewöhnlich. Tut mir doch den Gefallen und löst Mr. Murdoch als Bankier ab. Er sieht recht müde aus, wohl von der langen Fahrt von Paris hierher.«
Sie warf dem an der Bank sitzenden Mann einen koketten Blick zu, den dieser mit einem Augenzwinkern erwiderte. Dann erhob er sich, nickte Orffyreus aufmunternd zu und deutete auf seinen Platz. »Bitte, mein Herr, man sollte der Marquise keinen Wunsch abschlagen, sonst verwelkt sie wie eine Tulpe, der man das Wasser verweigert.«
Orffyreus, der von Murdoch noch um einen Kopf überragt wurde, schaute missmutig erst auf diesen, dann auf Gärtner und schließlich auf die Marquise. »Ich danke für Eure Wertschätzung«, sagte er zur Gastgeberin gewandt. »Aber ich liebe das Spiel nicht so sehr, und es liebt mich nicht. Glück ist mir niemals zugeflogen, ich musste es mir immer erarbeiten.«
Murdoch lachte über diese Worte und schob Orffyreus gemeinsam mit der Marquise zu dem freien Stuhl für den Bankier.
»Bei Pharao geht es nicht darum, Glück zu haben, sondern seine Chancen zu erkennen«, behauptete Murdoch.
»Seht Ihr!«, rief die Marquise. »Und wie der Landgraf mir berichtet hat, wisst Ihr Eure Chancen besonders gut zu nutzen!«
Widerwillig ließ Orffyreus sich auf dem Platz nieder. Gärtner grinste ihn an. Auch die anderen Pointeure schienen ihn höhnisch anzulächeln. Offensichtlich versprachen sie sich ob seiner zur Schau getragenen Spielunlust gute Gewinne gegen ihn. Orffyreus griff in die Taschen seines Gehrocks, die leer waren.
»Ich habe gar kein Geld dabei«, stellte er mit Bedauern fest und machte Anstalten, sich wieder zu erheben.
Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, stellte Murdoch einen Stapel Münzen vor ihn hin. »Ich gewähre Euch einen Kredit!«
Die Marquise lachte erfreut. »Schaut, nun kann es losgehen! Vorher aber sollte man wissen, mit wem man spielt. Niemals darf man jemandem Geld abnehmen, ohne dessen Namen zu kennen! Die Bank hat freundlicherweise der weit über die Grenzen unserer Stadt bekannte Inventore Orffyreus übernommen.«
Orffyreus nickte in die Runde.
»Hier vor mir sitzt der ehrenwerte Meister Christian Gärtner aus Dresden, ein guter Bekannter meines Freundes Professor Gernsmann!«
Kaum hatte die Marquise den Namen ausgesprochen, entfuhr Orffyreus ein empörtes »Ihr?«, und mit einer unwillkürlichen Bewegung seines Armes stieß er versehentlich den vor ihm stehenden Turm aus Münzen um.
»Die Herren kennen sich bereits?«, fragte die Marquise verblüfft.
Gärtner lächelte Orffyreus spöttisch an. »Leider hatten wir bislang noch nicht das Vergnügen, uns in persona kennenzulernen. Uns verbindet aber seit Längerem ein gemeinsames Interesse an, sagen wir, dem Unmöglichen.«
Orffyreus warf Gärtner einen hasserfüllten Blick zu, ohne seinerseits etwas zu entgegnen.
»Das ist das Schöne am Spiel – dass es so gesellig ist!«, rief die Marquise und deutete auf eine junge, sehr hübsche Frau, die direkt neben Gärtner saß. »Gräfin Barbara Christine von Bernhold. Sie ist neu am Hofe. Und daneben der verehrte General Horacek aus Wien.«
Die Genannten grüßten ebenfalls in die Runde.
»Und dann selbstverständlich noch den allerseits geschätzten Mr. Paramour, der nach eigenem Bekunden ein professioneller Spieler ist«, schloss die Marquise den Vorstellungsreigen.
Mr. Paramour warf der Marquise einen galanten Blick zu und verzog seine Mundwinkel zu einem Lächeln.
Die Marquise wandte sich wieder Orffyreus zu, der immer noch regungslos am Tisch verharrte. »Ihr kennt doch die Spielregeln?«, fragte sie.
Orffyreus nickte widerwillig, während er nach dem Paket Karten griff und jedem der vier Pointeure ein neues Livret austeilte.
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