Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
fort.
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Die russische Fußballliga wurde von Hooligans terrorisiert. Sinnlose Gewaltakte überschatteten die Spiele, und selbst hier in der Hauptstadt Moskau mieden Familien schon seit Langem die Fußballstadien.
Boris Antonow genoss allerdings als Präsident von Globalgaz International das Privileg, eine der Logen über der Pressetribüne benutzen zu können: Hier war seine Familie sicher vor den Chaoten, die in den Stadionkurven ihre bengalischen Feuer abbrannten.
Sein Sohn stand einige Meter von ihm entfernt, doch anstatt das Spiel zu verfolgen, spielte Alexander mit der Fahne, die einer der Bodyguards besorgt hatte. Auch Antonow hatte im Moment kein Auge für das Spiel. Zu Gast war der Tabellenletzte aus Rostow, und die Partie war seiner Ansicht nach bereits entschieden, bevor sie begonnen hatte.
Ein Anruf auf seinem Handy hatte ihn von seinem Platz auf einem der Hartschalensitze vor der Glasscheibe in das Innere der Loge gelockt. Es war wieder einmal Sergeij. Sie beide kannten sich noch aus gemeinsamen Zeiten in der Armee. Während er danach studiert und gemeinsam mit Investoren das zuvor staatliche Unternehmen Globalgaz übernommen hatte, schlug sich Sergeij als Bodyguard und mit Jobs in Sicherheitsunternehmen durch. Schließlich war Sergeij nach England gegangen und dort von einer Art wissenschaftlichen Geheimorganisation engagiert worden. Als ihm dies zum ersten Mal zu Ohren gekommen war, hatte sich Antonow über den neuen Arbeitgeber seines Kameraden aus früheren Tagen gewundert. Bald darauf hatte er aus Sergeijs Berichten jedoch erkannt, dass dessen Aufgaben durchaus mit geheimdienstlichen Tätigkeiten zu vergleichen waren.
Geradezu euphorisiert hatte es ihn, als Sergeij vor Kurzem anrief und von seinem aktuellen Einsatz berichtete. Es schien tatsächlich so zu sein, als sei in Deutschland jemand der Erfindung eines Perpetuum mobile auf der Spur. Anfangs dachte Antonow an einen dummen Scherz. Und auch die Ingenieure in seiner Forschungs-und Entwicklungsabteilung hatten ihm kopfschüttelnd versichert, dass ein Perpetuum mobile ein Hirngespinst sei. Nun wäre er, der sich als kleiner Junge in einem der schäbigen Vororte Moskaus hatte durchschlagen müssen, nicht in die Vorstandsetage der Globalgaz International hochgestiegen, wenn er nicht die Fähigkeit besessen hätte, auch an das Unmögliche zu glauben. Wenn diese Organisation, die von hochintelligenten Wissenschaftlern geleitet wurde, Sergeij in einem fremden Land auf Menschenjagd schickte, dann musste es dafür einen guten Grund geben. Zum Glück war sein alter Freund gegen entsprechende Bezahlung gern bereit, ihn über die Entwicklung auf dem Laufenden zu halten. Wenn man so wollte, hatte er einen Doppelagenten installiert.
»Habt ihr sie endlich erwischt?«, fragte er leise ins Telefon hinein.
»Nein, leider noch nicht«, antwortete Sergeij. »Wir hatten ein wenig Pech. Nun haben wir aber eine neue Spur. Einer der Mitglieder hat sie vor ein paar Stunden in Mainz getroffen. Sie waren unklug genug, sein Handy an sich zu nehmen. Wir haben es schon geortet. Außerdem haben wir die Überwachungskameras des Motels ausgewertet, in dem sie uns knapp entwischt waren. Dort war ihr Auto mit Kennzeichen deutlich zu erkennen. Es gehört einem Arbeitskollegen der Kleinen. Ich denke, es handelt sich nur noch um Stunden.«
»Ein glitschiger Fisch ist das«, bemerkte Antonow.
»Das stimmt. Aber auch glitschige Fische landen irgendwann auf dem Teller!«
»Sollte es sich hinziehen, werde ich euch unsere Leute zur Verstärkung senden.«
»Das weiß ich zu schätzen. Aber im Moment sollten wir nicht zu viel Staub aufwirbeln. Gebt uns noch zwei Tage.«
»Einverstanden. Solltet ihr irgendetwas bei ihnen finden, wäre ich für Kopien dankbar«, bat Boris Antonow und fügte dann murmelnd hinzu: »Eine Unternehmenssparte Perpetuum mobile würde uns gut stehen.«
»Ich tue, was ich kann«, beteuerte Sergeij. »Was ist das für ein Lärm im Hintergrund?«
»Fußball. Wir spielen gegen Rostow und … Ach herrje, ich glaube, die haben tatsächlich gerade ein Tor gegen uns geschossen!«
»Ein glitschiger Fisch!«, sagte Sergeij ironisch und beendete das Telefonat.
Antonow ging zur Glasscheibe, welche die Loge vom Rest des Stadions abschirmte, und schaute hinaus auf die Anzeigentafel. Es stand nur noch 2:1.
76
London, 1717
Es war bereits nach Mitternacht. Die wöchentliche Sitzung der Royal Society war lange beendet, und die meisten Mitglieder hatten sich auf
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