Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
von Eisenstangen nur noch schemenhaft zu erkennen.
»Schon morgen wollen sie den Kopf der Figur abnehmen«, ergänzte unser Gesprächspartner. »Er allein hat einen Umfang von über drei Metern!«
»Warum den Kopf?«, erkundigte ich mich.
»Das ist offenbar die einzige Möglichkeit, in das Innere der Figur zu gelangen. Der Bauleiter, ein Franzose, erklärte mir, dass der Kopf heute noch vom Körper getrennt wird. Morgen werden sie den Kopf dann mit einem Spezialkran wegschaffen.«
Wir waren den Vormittag über zum Herkules-Denkmal hinaufgewandert. Tatsächlich ging es die ganze Zeit über recht steil bergauf. Wir waren froh gewesen, dass wir am Bahnhofskiosk noch eine Flasche Wasser gekauft hatten, auch wenn sie bereits nach der halben Wegstrecke ausgetrunken war. Oben angekommen, bot sich uns jedoch ein sagenhafter Blick über die gesamte Stadt. An einem kleinen Souvenirstand verkaufte ein älterer Herr Bücher, Postkarten und kleine Andenken. Nachdem wir ihn nach den Renovierungsarbeiten um uns herum gefragt hatten, war er aus seiner kleinen Verkaufsbude herausgetreten und hatte uns die Geschichte mit dem Tuffstein erzählt.
»War die Renovierung schon lange geplant?«, wollte Julia wissen.
»Nein«, antwortete der Mann. »Sie kam aus heiterem Himmel. Innerhalb weniger Tage wurde sie beschlossen, und über Nacht wimmelte es hier von Arbeitern. Die scheinen es richtig eilig zu haben. Ich hab denen schon gesagt, dass der da oben seit rund dreihundert Jahren steht und es jetzt auf einen Tag mehr oder weniger auch nicht mehr ankommt!« Der Mann lachte.
»Ist es nicht schlecht für Ihr Geschäft, wenn das hier alles eingerüstet wird?«, erkundigte ich mich.
»Ach nein. Erstens bin ich Rentner und mache das hier ehrenamtlich für die Stadt; der geschäftliche Erfolg spielt für mich keine Rolle. Zweitens glaube ich, dass auch weiterhin die Besucher kommen: Es wird nämlich möglich sein, das Baugerüst zu erklettern und daher so nahe an den Herkules heranzukommen wie noch nie zuvor. Ich denke, so mancher Kasseler, der hier oben seit Jahren nicht mehr gewesen ist, wird sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen!«
Julia warf mir einen verschwörerischen Blick zu.
»Ab wann kann man rauf auf das Gerüst?«, fragte ich.
Der Mann zuckte mit den Achseln. »Vielleicht Ende der Woche oder Anfang nächster Woche. Das muss alles vorher gesichert werden, damit keiner runterfällt. Und bei Wind ist es sowieso verboten, dort hinaufzugehen. Hier oben gibt es tückische Böen. Dreißig Kilometer pro Stunde Windgeschwindigkeit ist wohl die Grenze, haben die mir erklärt. Die kaufen sogar extra ein Windmessgerät!«
Ich nickte. »Aber das Oktogon können wir doch jetzt besichtigen?«
»Ich fürchte, das ist heute auch gesperrt. Die müssen über die Außentreppen das ganze Zeug nach oben schaffen.« Der Mann deutete auf einen der Treppenaufgänge vor uns. »Insofern scheint es, als seien Sie heute den Weg hier hinauf umsonst gekommen. Aber vielleicht habe ich eine kleine Entschädigung!« Er verschwand in seinem Verkaufsstand und kam kurz darauf mit einem kleinen Umschlag zurück. »Hier ist das Oktogon als Bausatz aus Pappe drin. Vielleicht haben Sie Spaß daran, oder sie kennen ein paar Kinder.«
Ich bedankte mich höflich und nahm das kleine Couvert entgegen.
»Kostet normalerweise sechs Euro«, ergänzte er.
Offenbar hatte ich mich für seinen Geschmack nicht genügend gefreut. Ich bedankte mich abermals. Dann schlenderten Julia und ich einmal um das Bauwerk herum. Einige Arbeiter murrten, da wir im Weg standen.
»Ganz schön was los hier«, bemerkte Julia.
»Scheint so, als seien wir umsonst gekommen«, erwiderte ich.
»Was wollten wir hier überhaupt?«, fragte Julia.
»Ich weiß auch nicht. Ich hatte gehofft, dass wir irgendeinen Hinweis entdecken. Oder man vielleicht nahe an die Statue herankommt.« Ich suchte aus meinem Rucksack die kleine Figur heraus. Ich hielt sie hoch und verglich sie mit dem Original oben auf dem Oktogon. Durch das Gerüst konnte man nicht viel erkennen, jedoch schienen sie sich zu gleichen. »Ich denke immer noch an die zwei Zeilen aus dem Buch des Orffyreus: ›Vnd ist die Kraft des Herakles doch Vnbändig/ FIndet das GeheImnis sich Inwändig.‹ Man müsste in den Herkules hineinschauen können.«
»Du hast ja gehört: Das wird ab morgen möglich sein, wenn der Kopf entfernt wird.«
»Schon komisch, dass dies alles gerade jetzt so kurzfristig passiert.«
Unweit von uns standen
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