Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
ersten Arbeiter erschienen. Ich hängte den Hörer ein und kehrte zu Julia zurück.
»Ist sie nicht da?«, fragte sie mit zusammengekniffenen Augen.
Ich schüttelte den Kopf. Obwohl ich Julia nicht gesagt hatte, wen ich anrufen wollte, hatte sie es genau gewusst.
Sie reichte mir mein Croissant. »Schling ’s runter – Herkules wartet auf uns.«
80
Cassel, 1717
Die Schaulustigen verstopften den Zugang zum Pavillon des Schlosses Weißenstein. Durch eine enge Gasse, die mehrere Pagen und Lakaien verteidigten, trugen die Küchenhelfer immer neue Speisen aus dem Küchentrakt herbei. Dieser befand sich wegen der Brandgefahr, die von den Kochstellen ausging, neben dem Schloss. Orffyreus saß zur Rechten des Landgrafen. Außer ihnen speisten die üblichen Adeligen und höher gestellten Bürger mit. Auch der Kommandeur der Garnison und einige Offiziere waren dazugebeten worden. Orffyreus erkannte ganz außen am Tisch du Roy, der offenbar nicht mehr ganz nüchtern war und ihm mit einem Becher Wein vergnügt zuprostete.
»Wie kommt es, dass die Marquise de Langallerie nicht an der offenen Tafel teilnimmt?«, erkundigte sich Orffyreus. Seit dem Abend in ihrem Salon hatte er sie nicht mehr gesehen, und er war darüber alles andere als traurig.
»Sie hasst diese Schauessen«, antwortete der Landgraf. »Zudem gibt es nur wieder Gerede, wenn sie auftritt. Auch ich mag dieses Speisen vor Publikum nicht besonders. Aber der Hof erfordert es nun mal. Und es dient ja einem guten Zweck.«
Orffyreus nickte. Auch er fühlte sich unter den Augen der vielen Beobachter unwohl. Die Bediensteten hatten ihnen bislang eine spanische Suppe mit Lamm, Rind, Schinken, Geflügel und Gemüse aufgetragen. Trotz aller Bemühungen der Köche war die Suppe wegen des großen Andrangs vor der Tafel bereits kalt gewesen, als man sie servierte. Orffyreus hatte daher, ebenso wie der Landgraf, nur ein paar Löffel probiert.
»Ich hörte von Eurer Wette«, sagte der Landgraf, ohne Orffyreus anzuschauen.
»Die Marquise war so frei, sich als Schiedsrichterin anzubieten«, berichtete Orffyreus. »Sie war es auch, die ihre Gemächer in Eurem Schloss als Austragungsort vorschlug.«
»Haltet Ihr diese Spielerei für klug?«, fragte der Landgraf skeptisch. »Was, wenn Ihr verliert? Dann seid Ihr ruiniert und werdet zum Gespött der Leute. Und ich, als Euer Gastgeber, vermutlich gleich mit.«
»Eure Durchlaucht, Ihr wisst, dass meine Maschine funktioniert«, entgegnete Orffyreus etwas gekränkt.
»Es wäre besser, Ihr würdet Euch auf unser gemeinsames Vorhaben konzentrieren!«, tadelte der Landgraf ihn.
»Das Rad für die Wette ist schon so gut wie fertiggestellt. Und für unser Vorhaben habe ich Euch nun eine Kostenschätzung zukommen lassen. Auch habe ich darin genauestens aufgeführt, welche Materialien wir benötigen.«
Die Pagen traten von hinten an die Speisenden heran und stellten jeweils einen Teller aus Porzellan vor ihnen ab. Auf den leeren Tellern waren in bunten Farben Speisen aufgemalt. Orffyreus’ Teller war mit dem Abbild einer Lammkeule verziert. Dann wurde ihm eine kleinere Schüssel vorgesetzt, auf deren Boden einige kleine Knospen Brüsseler Kohls aufgemalt waren. Orffyreus starrte ein wenig verwirrt auf das leere Geschirr vor ihm. Doch der Landgraf, der ebenfalls nur aufgemalte Speisen vor sich hatte, klatschte begeistert in die Hände.
»Eine tolle Idee von Monsieur Leconté. Man möge ihm ausrichten, dass mir dieser Gang sehr gefallen hat!«, rief er. Dann beugte er sich zu Orffyreus und erklärte: »Ein Luftgang. Er soll dazu dienen, den Appetit anzuregen. Das Porzellan hat der Küchenchef eigens in Meißen herstellen lassen!« Der Landgraf hob einen Teller empor und präsentierte ihn dem Publikum. Großer Jubel erhob sich, und es waren viele Laute der Bewunderung zu vernehmen.
»Ich war erschrocken über den Preis«, sagte der Landgraf.
»Porzellan ist eine Kostbarkeit«, meinte Orffyreus.
»Ich meine den Preis Eurer Aufwandsschätzung. Fünfundsechzigtausend Taler erscheinen mir eine utopische Summe!«
»Bedenkt, was Ihr von mir im Gegenzug erhaltet«, entgegnete Orffyreus. »Ihr habt für Dinge, die weit weniger wert waren, bereits deutlich mehr gezahlt. Die Dimensionen unseres Vorhabens übertreffen alles bisher Dagewesene. Zudem habe ich nur mit den besten Baustoffen geplant. Es ist ein Bauwerk für die Ewigkeit!«
»Mein Vermögen ist jedoch nicht unendlich! Der Bau des Bergparks hat die Staatskasse mehr belastet, als
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