Das Rad der Zeit 10. Das Original: Zwielichtige Pfade (German Edition)
worden, wenn er seine Pfeife rauchen wollte, weil Shiaine den Geruch seines groben Tabaks nicht ausstehen konnte, und da er für gewöhnlich einen Krug Ale mitnahm oder auch gleich eine ganze Kanne, sollte er nicht so schnell wieder da sein. Marillin machte Hanlon mehr Sorgen. Auch sie war eine Aes Sedai und stand anscheinend genauso unter Shiaines Befehl wie Falion oder er selbst, aber mit ihr hatte er keine Abmachung. Auch keinen Streit, aber er misstraute Aes Sedai aus Prinzip, ob sie nun Schwarze Ajah waren oder nicht. Wo war sie hingegangen? Um was zu tun? Was ein Mann nicht wusste, konnte ihn umbringen, und Marillin Gemalphin verbrachte viel zu viel Zeit damit, Dinge zu tun, über die er nicht Bescheid wusste. Er kam zu dem Schluss, dass es in Caemlyn überhaupt zu viele Dinge gab, über die er nicht Bescheid wusste. Höchste Zeit, dass er sie in Erfahrung brachte, wenn er überleben wollte.
Da Falion gegangen war, begab er sich von der eisigen Vorhalle direkt in die Küche im rückwärtigen Teil des Hauses. Der Raum mit den Ziegelwänden war natürlich leer – die Köchin wusste Besseres, als ihre Nase aus ihrem Zimmer im Keller zu stecken, sobald man sie für die Nacht entlassen hatte –, und der schwarze Eisenofen und die Herde waren kalt, aber ein kleines Feuer in dem langen Steinkamin machte die Küche zu einem der wenigen Räume, die in diesem Haus warm sein würden. Jedenfalls verglichen mit dem Rest. Shiaine war eine geizige Frau, solange es nicht um ihre eigene Bequemlichkeit ging. Das Feuer brannte hier bloß für den Fall, dass sie mitten in der Nacht heißen Wein haben wollte oder heiß gemachte Eiermilch.
Seit seinem Eintreffen in Caemlyn war er etwa ein halbes Dutzend Mal in diesem Haus gewesen und wusste, in welchen Schränken die Gewürze aufbewahrt wurden und in welchem Nebenraum der Küche immer ein Fass Wein stand. Und immer guter Wein. Hier sparte Shiaine nicht. Jedenfalls nicht bei dem, was sie selbst trinken wollte. Als Falion zurückkehrte, hatte er den Honigtopf und eine Schale mit Ingwer und Gewürznelken neben eine Kanne mit Wein auf den großen Küchentisch gestellt und einen Schürhaken ins Feuer geschoben. Shiaine konnte »Kommt jetzt« sagen und auch »jetzt« meinen, aber wenn sie einen warten lassen wollte, konnte es fast schon wieder Tag sein, bevor sie einen empfing. Diese Besuche kosteten ihn immer Schlaf, sollte die Frau doch zu Asche verbrennen!
»Wer ist der Besucher?«, fragte er.
»Er hat sich mir nicht mit Namen vorgestellt«, erwiderte Falion und hielt die Tür zum Korridor mit einem Stuhl geöffnet. Das ließ etwas von der kargen Wärme hinaus, aber sie würde hören, falls Shiaine sie rief. Vielleicht wollte sie auch nur sichergehen, dass die andere Frau sie nicht belauschen konnte. »Ein schlanker Mann, groß und hart, sieht wie ein Soldat aus. Seinem Benehmen nach zu urteilen ein Offizier, vielleicht ein Adliger, der Akzent ist andoranisch. Er scheint intelligent und vorsichtig zu sein. Seine Kleidung ist unauffällig, wenn auch teuer, und er trägt keine Ringe oder Nadeln.« Sie musterte den Tisch mit einem Stirnrunzeln, ging zu einem der Schränke neben der Tür zum Korridor und stellte einen zweiten Zinnpokal neben den, den er sich geholt hatte. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, zwei Pokale dort hinzustellen. Schlimm genug, dass er sich den Wein selbst machen musste. Aes Sedai oder nicht, sie war hier die Dienerin. Aber sie nahm einen Stuhl am Tisch und schob die Schale mit den Gewürzen von sich, als würde sie erwarten, dass er sie bediente.
»Shiaine hatte gestern zwei Besucher, die allerdings weniger vorsichtig waren als dieser Bursche«, fuhr sie fort. »Der Besucher am Morgen hatte die Goldenen Eber von Sarand auf den Stulpen seiner Handschuhe. Vermutlich hat er gedacht, niemand würde diese kleinen Stickereien bemerken, wenn er überhaupt nachgedacht hat. Ein dicker, blonder Mann in den mittleren Jahren, der auf alles herabsah; er hat ein Kompliment über den Wein gemacht, als wäre er überrascht, in diesem Haus einen vernünftigen Jahrgang vorzufinden, und er wollte, dass Shiaine mich prügelt, weil ich es am nötigen Respekt mangeln ließ.« Selbst das sagte sie mit kalter, beherrschter Stimme. Nur wenn Shiaine sie mit dem Riemen schlug, ließ sie eine Gefühlsregung erkennen. Er hatte sie brüllen gehört. »Ein Mann vom Land, der nur selten in Caemlyn war, aber glaubt, dass er weiß, wie sich die Höhergestellten benehmen, würde ich sagen.
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