Das Rad der Zeit 10. Das Original: Zwielichtige Pfade (German Edition)
»Beldeine, sie macht sich langsam Sorgen, dass sie noch keinen Behüter hat«, sagte sie mit ihrem tarabonischen Akzent, als Cadsuane neben ihr stehen blieb, obwohl sich ihre blauen Augen wieder auf den Hof richteten. »Sie scheint einen Asha’man in Betracht zu ziehen, wenn sie einen findet. Ich habe ihr gesagt, sie soll mit Daigian sprechen. Wenn ihr das nicht hilft, wird es Daigian helfen.«
Sämtliche Behüter hatten sich auf dem gepflasterten Hof versammelt, trotz der Kälte waren sie in Hemdsärmeln. Die meisten von ihnen saßen auf den gestrichenen Holzbänken und sahen zu, wie zwei von ihnen mit hölzernen Übungsschwertern trainierten. Jahar, einer von Merises drei Behütern, war ein ansehnlicher, von der Sonne gebräunter junger Mann. Die Silberglöckchen an den Enden seiner beiden langen Zöpfe bimmelten durch die Wut seines Angriffs. Er bewegte sich wie eine zubeißende Schwarzlanze. Kein Windhauch wehte, aber der achtzackige Stern schien sich wie eine Kompassrose gegen Cadsuanes Haar zu drehen. Hätte sie ihn in der Hand gehalten, hätte sie fühlen können, wie er vibrierte. Aber ihr war ja bereits bekannt, dass Jahar ein Asha’man war, und der Stern hätte ihn nicht gekennzeichnet, sondern lediglich mitgeteilt, dass ein Mann in der Nähe war, der die Macht lenken konnte. Sie hatte gelernt, dass der Stern umso härter vibrierte, je mehr Machtlenker da waren. Jahars Gegner, ein sehr großer, breitschultriger Bursche mit steinernem Gesicht und einem geflochtenen Lederband um die ergrauenden Schläfen, das schulterlanges Haar zurückhielt, war da unten nicht der zweite Asha’man, aber er war auf seine Weise tödlich. Lan schien sich wirklich nicht so schnell zu bewegen, aber er … floss. Seine Klinge aus zusammengebundenen Leisten war immer zur Stelle, um Jahars abzuwehren, brachte den jungen Mann immer eine Spur weiter aus seiner Linie.
Plötzlich traf Lans Holzklinge mit einem lauten Knall Jahars Seite, mit Stahl ein tödlicher Schlag. Während sich der jüngere Mann noch immer von der Wucht des Treffers krümmte, ging Lan zurück in die Ausgangsstellung, die lange Klinge nach oben gerichtet. Nethan, ein weiterer von Nerises Behütern, stand auf, ein schmaler Bursche mit weißem Haar an den Schläfen, der trotz seiner Größe noch immer eine Handspanne kleiner als Lan war. Jahar winkte ihn fort, hob die Übungsklinge erneut und verlangte laut nach einem weiteren Durchgang.
»Hält sich Daigian noch immer aufrecht?«, fragte Cadsuane.
»Besser, als ich erwartet hätte«, gab Merise zu. »Sie verbringt zu viel Zeit in ihrem Zimmer, aber sie hält ihre Tränen verborgen.« Ihr Blick wich von den Männern, die die Klingen tanzen ließen, zu einer grün gestrichenen Bank, auf der Verins untersetzter, grauhaariger Tomas neben einem Burschen saß, der nur noch über einen weißen Haarkranz verfügte. »Damer, er wollte sein Heilen bei ihr versuchen, aber Daigian hat abgelehnt. Sie hat zwar vermutlich nie zuvor einen Behüter gehabt, aber sie weiß, dass die Trauer über einen toten Behüter ein Teil der Erinnerung an ihn ist. Ich bin überrascht, dass Corele überhaupt in Betracht zog, es zu erlauben.«
Mit einem Kopfschütteln richtete die Schwester aus Tarabon ihre Aufmerksamkeit wieder auf Jahar. Die Behüter anderer Schwestern interessierten sie nicht, jedenfalls nicht auf die Weise, wie es ihre eigenen taten. »Asha’man trauern wie Behüter. Ich dachte, Jahar und Damer wären nur dem Beispiel der anderen gefolgt, aber er sagt, es wäre auch ihre Sitte. Natürlich habe ich sie nicht gestört, aber ich habe gesehen, wie sie in Erinnerung an Daigians jungen Eben das Glas erhoben haben. Sie erwähnten nie seinen Namen, aber sie stellten einen vollen Becher für ihn hin. Bassane und Nethan wissen, dass sie jeden Tag sterben können, und sie akzeptieren es. Jahar erwartet den Tod; er erwartet ihn jeden Tag. Für ihn ist jede Stunde mit Sicherheit seine letzte.«
Cadsuane konnte sich kaum davon zurückhalten, die andere Frau offen anzusehen. Es geschah nicht oft, dass Merise so lange sprach. Ihre Miene war reglos, aber etwas hatte sie aufgebracht. »Ich weiß, dass Ihr es übt, Euch mit ihm zu verknüpfen«, sagte Cadsuane taktvoll und schaute in den Hof hinunter. Mit einer anderen Schwester über ihren Behüter zu sprechen erforderte Takt. Das war mit ein Grund, warum sie stirnrunzelnd in den Hof sah. »Habt Ihr schon herausfinden können, ob der junge al’Thor bei Shadar Logoth Erfolg gehabt hat?
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