Das Rad der Zeit 10. Das Original: Zwielichtige Pfade (German Edition)
sie bloß an und ließ die Stille sich ausdehnen. Schnippisch? Eindeutig nicht zum Besseren. »Sagt ihm, ich komme, wenn ich kann«, entgegnete sie schließlich. »Schließt die Tür hinter Euch fest ins Schloss, Min.« Die junge Frau öffnete den Mund, als wollte sie noch mehr sagen, aber wenigstens bewies sie genug Verstand, es ungesagt zu lassen. Sie brachte sogar trotz ihrer albernen Stiefel einen passablen Knicks zustande und schloss die Tür fest hinter sich. Tatsächlich fehlte nicht viel, um es als Zuknallen zu bezeichnen.
Verin schüttelte wieder den Kopf und gab ein Lachen von sich, das nicht besonders amüsiert klang. »Sie liebt den jungen Mann, Cadsuane, und sie hat ihr Herz in seine Tasche gesteckt. Was auch immer Ihr sagt oder tut, sie würde eher ihm folgen als ihrem Verstand. Ich glaube, sie hat Angst, dass er beinahe unter ihren Händen gestorben wäre, und Ihr wisst, wie das bei einer Frau dazu führen kann, dass sie sich entschlossen an ihm festklammert.«
Cadsuane presste die Lippen zusammen. Verin wusste mehr über diese Art Beziehung zu Männern als sie – sie hatte nie etwas davon gehalten, sich mit ihren Behütern einzulassen, so wie es manche Grüne taten, und andere Männer waren nie infrage gekommen –, aber die Braune war ohne es zu wissen einer Wahrheit sehr nahegekommen. Zumindest glaubte Cadsuane nicht, dass die andere Schwester wusste, dass Min mit dem jungen al’Thor durch den Behüterbund verbunden war. Sie selbst wusste es auch nur, weil das Mädchen in einem unbedachten Augenblick zu viel gesagt hatte. Selbst die verschlossenste Muschel musste schließlich ihr Fleisch preisgeben, sobald man die erste kleine Öffnung in die Schale gemacht hatte. Manchmal gab sie auch eine unerwartete Perle preis. Ja, Min würde den Jungen am Leben erhalten wollen, ob sie ihn nun liebte oder nicht, aber nicht mehr, als Cadsuane es wollte.
Verin legte den Umhang über eine hohe Stuhllehne, ging zum nächsten Kamin und streckte die Hände aus, um sie vor den niedrigen Flammen zu wärmen. Man konnte nicht behaupten, dass Verin daherglitt, aber sie war anmutiger, als ihre massige Gestalt vermuten ließ. Wie viel von ihr war tatsächlich eine Täuschung? Jede Aes Sedai verbarg sich im Laufe der Zeit hinter verschiedenen Masken. Nach einer Weile wurde es zur Gewohnheit. »Ich glaube, dass die Situation in Tear doch noch friedlich geregelt werden kann«, sagte sie und schaute ins Feuer. Sie hätte genauso gut mit sich selbst sprechen können. Oder es Cadsuane glauben lassen wollen. »Hearne und Simaan verzweifeln beinahe, sie fürchten, dass die anderen Hochlords aus Illian zurückkehren und sie in der Stadt gefangen setzen. Möglicherweise sind sie bereit, Darlin zu akzeptieren, zieht man ihre anderen Möglichkeiten in Betracht. Estanda ist da aus härterem Holz geschnitzt, aber wenn man sie davon überzeugen kann, dass es für sie von Vorteil ist …«
»Ich habe Euch gesagt, Ihr sollt nicht in ihre Nähe gehen«, unterbrach Cadsuane sie streng.
Die pummelige Frau blinzelte überrascht. »Das bin ich auch nicht. Die Straßen sind immer voller Gerüchte, und ich weiß, wie man Gerüchte durchsieben muss, um etwas Wahrheit herauszubekommen. Ich habe Alanna und Rafela gesehen, aber bevor sie mich sehen konnten, habe ich mich hinter einen Burschen geduckt, der von einem Karren Fleischpasteten verkaufte. Ich bin sicher, dass sie mich nicht gesehen haben.« Sie hielt inne und wartete offensichtlich darauf, dass Cadsuane erklärte, warum man ihr befohlen hatte, auch die anderen Schwestern zu meiden.
»Ich muss jetzt zu dem Jungen, Verin«, sagte Cadsuane stattdessen. Das war das Problem, wenn man einwilligte, jemanden zu beraten. Selbst wenn man sämtliche Bedingungen stellte, die man wollte – jedenfalls die meisten –, musste man dennoch früher oder später zu ihnen, wenn sie nach einem verlangten. Irgendwann. Aber es gab ihr einen Grund, Verins Neugier zu entgehen. Die Antwort war simpel. Wenn man versuchte, jedes Problem selbst zu lösen, löste man am Ende gar keine. Und bei einigen Problemen spielte es auf lange Sicht gesehen wirklich keine Rolle, wie man sie löste. Aber wenn sie Verin die Antwort schuldig blieb, hatte sie etwas, worüber sie nachdenken konnte. Wenn sich Cadsuane bei jemandem nicht sicher war, dann wollte sie, dass sie sich auch bei ihr unsicher waren.
Verin nahm ihren Umhang und verließ gemeinsam mit ihr den Raum. Wollte die andere Frau sie etwa begleiten? Aber im
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