Das Rad der Zeit 12. Das Original: Sturm der Finsternis (German Edition)
strich sanft mit den Fingern darüber.
Er stellte die Statuette nicht zur Schau. Er trug sie einfach nur bei sich, aber Merise und die meisten anderen kannten die beinahe grenzenlose Macht, die er auf Wunsch anzapfen konnte. Man kannte keine vergleichbare Waffe. Möglicherweise hätte er damit sogar die Welt zerstören können. Und sie hing unschuldig an seinem Sattel befestigt. Das machte Eindruck auf die Leute.
»Ich … nein, das tue ich nicht«, gab sie zu. »Nicht immer.«
»Seid Ihr der Ansicht, dass man Fehler nicht bestrafen sollte?«, fragte Rand noch immer mit leiser Stimme. Warum hatte er je die Beherrschung verloren? Diese ärgerlichen Kleinigkeiten waren weder seine Leidenschaft noch seine Wut wert. Belästigte man ihn zu sehr, brauchte er sie doch einfach nur auszulöschen, wie eine Kerze.
Ein gefährlicher Gedanke. War es seiner gewesen? Oder der von Lews Therin? Oder … kam er von einem ganz anderen Ort?
»Sicherlich seid Ihr zu streng gewesen«, sagte Merise.
»Zu streng? Ist Euch klar, welchen Fehler sie gemacht hat, Merise? Habt Ihr in Betracht gezogen, was hätte passieren können? Was eigentlich hätte passieren müssen? «
»Ich …«
»Das Ende aller Dinge, Merise«, flüsterte er. »Der Dunkle König hat den Wiedergeborenen Drachen unter Kontrolle. Wir beide, die wir auf derselben Seite kämpfen.«
Sie schwieg. Dann sagte sie: »Ja. Aber was Fehler angeht, so habt Ihr selbst welche begangen. Sie hätten in ähnlichen Katastrophen enden können.«
»Ich bezahle für meine Fehler«, sagte er und wandte sich ab. »Ich bezahle jeden Tag für sie. Jede Stunde. Mit jedem Atemzug.«
»Ich …«
»Genug.« Er brüllte das Wort nicht. Er sprach energisch, aber leise. Er ließ sie die volle Macht seines Unmuts spüren, fing ihren Blick ein. Und sie sackte plötzlich auf ihrem Sattel in sich zusammen, schaute mit weit aufgerissenen Augen zu ihm hoch.
An der Seite ertönte ein lautes Bersten, gefolgt von einem plötzlichen Krachen. Schreie hallten auf. Alarmiert fuhr Rand herum. Die Stützen eines mit Zuschauern gefüllten Balkons hatten nachgegeben, er war auf die Straße gestürzt und hatte sich wie ein von einem Felsblock getroffenes Fass in seine Bestandteile aufgelöst. Menschen stöhnten vor Schmerzen, andere riefen um Hilfe. Aber die Geräusche waren von beiden Straßenseiten gekommen. Rand runzelte die Stirn und drehte sich um; direkt auf der gegenüberliegenden Seite war ein zweiter Balkon in die Tiefe gestürzt.
Merise erbleichte, dann wendete sie eilig ihr Pferd, um zu den Verletzten zu gelangen und ihnen zu helfen. Andere Aes Sedai waren bereits unterwegs, um die Opfer zu Heilen.
Rand trieb Tai’daishar an. Das war nicht durch die Macht verursacht worden, aber seine Natur als Ta’veren hatte die Wahrscheinlichkeit verändert. Wo auch immer er einen Besuch abstattete, kam es zu erstaunlichen und seltsamen Begebenheiten. Außergewöhnlich viele Geburten, Todesfälle, Heiraten und Unfälle. Er hatte gelernt, sie zu ignorieren.
Allerdings war er nur selten Zeuge eines so … gewalttätigen Zwischenfalls gewesen. Konnte er sich sicher sein, dass das nicht an irgendeiner Wechselwirkung mit der neuen Macht lag? Dieser ungesehenen und doch so verführerischen Quelle der Kraft, die er angezapft, benutzt und genossen hatte? Lews Therin war der Meinung, dass das Geschehen gerade eigentlich unmöglich hätte sein müssen.
Macht war der eigentliche Grund gewesen, warum die Menschheit das Gefängnis des Dunklen Königs angebohrt hatte. Eine neue Energiequelle, die man lenken konnte, wie die Eine Macht, nur anders. Unbekannt und seltsam, aber potenziell gewaltig. Diese Energiequelle hatte sich als der Dunkle König herausgestellt.
Lews Therin wimmerte.
Rand trug den Zugangsschlüssel aus einem ganz bestimmten Grund mit sich. Er verband ihn mit einem der größten Sa’angreale , die je erschaffen worden waren. Mit dieser Macht und Nynaeves Hilfe hatte Rand Saidin gereinigt. Der Zugangsschlüssel hatte ihm erlaubt, einen unvorstellbaren Strom anzuzapfen, einen Sturm von der Größe eines Ozeans. Es war das Großartigste, was er je erlebt hatte.
Bis zu dem Augenblick, an dem er die namenlose Macht benutzt hatte.
Diese andere Kraft sang zu ihm, rief ihn, lockte ihn. So viel Macht, solch ein göttliches Wunder. Aber sie machte ihm Angst. Er wagte es nicht, sie zu berühren, nicht noch einmal.
Also trug er den Schlüssel bei sich. Er war sich nicht sicher, welche dieser beiden
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