Das Rad der Zeit 12. Das Original: Sturm der Finsternis (German Edition)
am Himmel über der Stadt. Die Wunde erwärmte sich, als er daran dachte. Erwärmte sich und schmerzte. Er hatte angefangen, diesen Schmerz als alten Freund zu betrachten, als eine Erinnerung, dass er noch lebte.
»Ich sah dich oben in der Luft«, sagte Nynaeve. »Ich habe es nicht geglaubt. Ich … versuchte, diese Wunde zu Heilen, aber da war ich noch immer blockiert und konnte die nötige Wut nicht heraufbeschwören. Min wollte nicht von deiner Seite weichen.«
Min hatte ihn heute nicht begleitet. Sie standen sich immer noch nahe, aber es hatte sich etwas zwischen ihnen verändert. Genau wie er immer befürchtet hatte. Wenn sie ihn ansah, dann sah sie, wie er sie umbrachte. Das wusste er.
Noch vor wenigen Wochen hätte er sie nicht davon abhalten können, ihn zu begleiten, unter welchen Umständen auch immer. Nun blieb sie ohne jeden Widerspruch zurück.
Kälte. Es würde bald vorbei sein. Kein Platz für Bedauern oder Trauer.
Die Aiel liefen voraus, um nach einem Hinterhalt Ausschau zu halten. Viele von ihnen trugen die roten Stirnbänder. Rand sorgte sich nicht um einen Hinterhalt. Die Seanchaner würden ihn nicht verraten, es sei denn, es befand sich ein weiterer Verlorener unter ihnen.
Rand berührte das Schwert an seiner Taille. Es war das mit der Krümmung, mit der schwarzen Scheide und dem dort aufgemalten Drachen in Rot und Gold. Aus mehreren Gründen ließ es ihn an seinen letzten Aufenthalt in Falme denken.
»In dieser Stadt habe ich das erste Mal einen Mann mit einem Schwert getötet«, sagte er leise. »Ich habe nie davon erzählt. Er war ein seanchanischer Lord, ein Schwertmeister. Verin hatte mir gesagt, ich sollte darauf verzichten, in der Stadt die Macht zu lenken, also trat ich ihm nur mit dem Schwert entgegen. Ich besiegte ihn. Tötete ihn.«
Nynaeve runzelte die Stirn. »Also hast du das Recht, eine Klinge mit Reiherzeichen zu tragen.«
Rand schüttelte den Kopf. »Es gab keine Zeugen. Mat und Hurin kämpften anderswo. Sie sahen mich direkt nach dem Kampf, waren aber keine Zeugen des Todesstoßes.«
»Wozu braucht man da Zeugen?«, höhnte sie. »Du hast einen Schwertmeister besiegt, also bist du einer. Ob das nun andere beobachtet haben oder nicht, ist doch unwichtig.«
Er sah sie an. »Warum das Reiherzeichen tragen, wenn andere es nicht sehen können, Nynaeve?«
Darauf gab sie keine Antwort. Voraus hatten die Seanchaner einen schwarz-weiß gestreiften Pavillon vor der Stadt errichtet. Offensichtlich umgaben Hunderte von Damane und Sul’dam das an der Vorderseite offene Zelt; die Damane trugen das charakteristische graue Gewand, die Sul’dam ihre rot-blauen Kleider mit den Blitzen auf der Brust. Rand hatte nur ein paar Machtlenker mitgebracht: Nynaeve, drei Weise Frauen, Corele, Narishma, Flinn. Ein Bruchteil von dem, zu denen er Zugang hatte, selbst ohne sich an seine im Osten stationierten Streitkräfte wenden zu müssen.
Aber nein, es war besser, nur eine Ehrenwache mitzubringen, damit es auch so aussah, als würde er in Frieden kommen. Falls dieses Treffen zu einer Schlacht ausarten sollte, lag Rands einzige Hoffnung in einer schnellen Flucht durch ein Wegetor. Entweder das … oder er musste selbst etwas unternehmen, um den Kampf zu beenden.
Die Statuette von dem Mann mit der Kugel hing vor ihm am Sattel. Damit würde er sicher gegen hundert Damane standhalten können. Zweihundert. Er konnte sich an die Macht erinnern, die er bei der Reinigung von Saidin gehalten hatte. Mit dieser Macht konnte man Städte einebnen, jeden vernichten, der sich gegen ihn stellte.
Nein. Dazu würde es nicht kommen. Er konnte es sich nicht leisten, dass es dazu kam. Sicherlich wussten die Seanchaner, dass ein Angriff auf ihn nur in einer Katastrophe enden konnte. Rand war gekommen, um sich erneut mit ihnen zu treffen, gleichzeitig war er sich bewusst, dass ein Verräter in ihren Reihen versucht hatte, ihn gefangen zu nehmen oder zu töten. Sie würden seine Ehrlichkeit erkennen müssen.
Aber falls nicht … Er griff nach dem Zugangsschlüssel, nur für alle Fälle, und schob ihn in seine übergroße Außentasche. Dann holte er tief Luft, stählte sich und suchte das Nichts. Dort ergriff er die Eine Macht.
Übelkeit und Schwindel drohten ihn zu Boden zu werfen. Er schwankte, umklammerte Tai’daishar mit den Knien, packte den Zugangsschlüssel in der Tasche mit seiner Hand. Er biss die Zähne zusammen. In seinem Hinterkopf regte sich Lews Therin. Der Verrückte wollte die Eine Macht. Ein
Weitere Kostenlose Bücher