Das Rad der Zeit 12. Das Original: Sturm der Finsternis (German Edition)
einem Flüstern. Es glich eher fernen Rufen, die lauter wurden. Oder wie Wellen, die noch immer weit im Norden gegeneinanderschlugen, aber immer schwerer zu ignorieren waren.
»Nun«, sagte Daigian, »das ist doch bestimmt nicht das erste Mal in der Geschichte, an der es zehn Tage lang bewölkt war!«
Nynaeve schüttelte den Kopf und zog an ihrem Zopf. »Es ist nicht normal«, sagte sie. »Und der bewölkte Himmel ist nicht der Sturm, von dem ich spreche. Er liegt noch in der Ferne, aber er kommt näher. Und er wird schrecklich sein. Schrecklicher als alle, die ich je erlebt habe. Viel schrecklicher.«
»Nun, dann werden wir uns mit ihm befassen, wenn er da ist«, erwiderte Daigian, klang aber etwas unbehaglich. »Setzt Ihr Euch wieder, damit wir fortfahren können?«
Nynaeve sah die mollige Aes Sedai an. Daigian war ausgesprochen schwach in der Macht. Möglicherweise sogar die schwächste Aes Sedai, der sie je begegnet war. Und damit hätte Nynaeve die Führung übernehmen können, wenn man den traditionellen – wenn auch unausgesprochenen – Regeln folgte.
Unglücklicherweise war ihre Position noch immer fragwürdig. Egwene hatte sie per Dekret zur Stola erhoben, genau wie sie es bei Elayne gemacht hatte. Es hatte keine Prüfung gegeben, und sie hatte auch nicht auf den Eidstab geschworen. Für die Allgemeinheit machte sie das zu keiner richtigen Aes Sedai – das galt sogar für diejenigen, die Egwene als die wahre Amyrlin akzeptierten. Sie war keine Aufgenommene mehr, aber auch keine gleichwertige Schwester.
Die Schwestern in Cadsuanes Gefolge waren darin besonders schlimm, da sie sich öffentlich weder für die Weiße Burg noch für die Rebellen ausgesprochen hatten. Und die Rand verschworenen Schwestern waren noch schlimmer; die meisten standen noch immer treu zur Weißen Burg und fanden nichts dabei, sowohl Elaida wie auch Rand zu unterstützen. Nynaeve fragte sich immer noch, was sich Rand wohl dabei gedacht hatte, Schwestern einen Treueid ablegen zu lassen. Diesen Fehler hatte sie ihm bereits bei mehreren Gelegenheiten genau erklärt, sogar ziemlich rational, aber sich mit Rand zu unterhalten war im Moment so, als würde man mit einem Stein sprechen. Nur weniger effektiv und wesentlich nervenaufreibender.
Daigian wartete noch immer darauf, dass sie sich setzte. Sie tat es, statt einen Kampf der Willenskräfte zu provozieren. Daigian litt noch immer unter dem Verlust ihres Behüters Eben, einem Asha’man, der beim Kampf mit den Verlorenen gefallen war. Nynaeve hatte diesen Kampf in völliger Konzentration versunken damit verbracht, Rand mit gewaltigen Mengen an Saidar zu versorgen, das er dann verweben konnte.
Noch immer konnte sie die Eindrücke nicht vergessen, die das Sammeln von so viel Macht hinterlassen hatte: die überbewältigende Freude, die Ehrfurcht gebietende Euphorie, die Kraft und das Gefühl von schierem Leben . Es hatte ihr Angst eingejagt. Sie war froh, dass das Ter’angreal , mit dessen Hilfe sie diese Macht berührt hatte, zerstört worden war.
Aber das männliche Ter’angreal war noch immer intakt: der Zugangsschlüssel zu einem mächtigen Sa’angreal . Soweit sie wusste, hatte Rand Cadsuane nicht dazu überreden können, es ihm zurückzugeben. Und das war auch genau richtig so. Kein Mensch, nicht einmal der Wiedergeborene Drache, sollte so viel von der Einen Macht lenken können. Die Dinge, die man versucht sein könnte zu tun …
Sie hatte Rand gesagt , er müsse den Zugangsschlüssel einfach vergessen. Als würde man mit einem Stein reden. Einem großen, rothaarigen, eisengesichtigen Wollkopf von einem Stein. Sie räusperte sich. Das veranlasste Daigian, eine Braue zu heben. Die Frau war recht gut darin, ihre Trauer zu kontrollieren, obwohl Nynaeve – deren Zimmer genau neben Daigians lag – sie jede Nacht leise weinen hörte. Es war nicht leicht, seinen Behüter zu verlieren.
L an …
Nein, es war besser, im Moment nicht an ihn zu denken. Lan würde es gut gehen. Nur am Ende seiner Reise der Tausenden von Meilen würde er in Gefahr sein. Erst dann würde er sich auf den Schatten werfen wie ein einsamer Pfeil, den man gegen eine Mauer schoss …
Nein!, rief sie sich zur Ordnung. Er wird nicht allein sein. Dafür habe ich gesorgt.
»Also gut«, sagte sie und zwang sich zur Konzentration. »Lasst uns fortfahren.« Hier ging es nicht darum, sich Daigian unterzuordnen. Sie tat der Frau nur einen Gefallen, lenkte sie von ihrer Trauer ab. So hatte es zumindest
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