Das Rad der Zeit 12. Das Original: Sturm der Finsternis (German Edition)
Corele erklärt. Auf keinen Fall hatte sie etwas von diesem Treffen. Sie musste nichts beweisen. Sie war eine Aes Sedai, ganz egal, was die anderen dachten oder andeuteten.
Das war alles nur ein Vorwand, um Daigian zu helfen. Das war es. Nichts weiter.
»Hier ist das einundachtzigste Gewebe«, sagte die Weiße. Der Schein Saidars hüllte sie ein, und sie lenkte die Macht, erschuf ein sehr kompliziertes Gewebe aus Feuer, Luft und Geist. Kompliziert, aber nutzlos. Das Gewebe erschuf drei brennende Feuerkreise in der Luft, die mit einem unnatürlichen Licht glühten, aber welchen Sinn hatte das? Nynaeve wusste bereits, wie man Feuerbälle und Leuchtkugeln herstellte; warum Zeit mit dem Erlernen von Geweben verschwenden, die lediglich wiederholten, was sie bereits wusste, nur auf viel kompliziertere Art und Weise? Und warum hatte jeder Ring eine etwas andere Färbung?
Nynaeve schwenkte gleichgültig die Hand und wiederholte das Gewebe exakt. »Ehrlich«, meinte sie dann, »das scheint das Sinnloseste von dem ganzen Haufen zu sein! Was für einen Zweck soll es denn erfüllen?«
Daigian schürzte die Lippen. Sie sagte nichts, aber Nynaeve wusste ganz genau, dass sie der Ansicht war, dass das ihrer Schülerin alles viel schwerer hätte fallen müssen. Schließlich sagte sie: »Man darf Euch nicht viel über die Prüfung verraten. Ich kann nur sagen, dass Ihr diese Gewebe exakt wiederholen müsst, und zwar unter extremen Ablenkungen. Ihr werdet es verstehen, wenn der Augenblick gekommen ist.«
»Das bezweifle ich«, sagte Nynaeve tonlos und kopierte das Gewebe weitere drei Male, während sie sprach. »Weil, wie ich Euch bereits schon ein Dutzend Mal gesagt habe, ich die Prüfung wohl nicht machen werde. Ich bin bereits eine Aes Sedai.«
»Aber natürlich seid Ihr das, meine Liebe.«
Nynaeve drückte die Lippen zusammen. Das war keine gute Idee gewesen. Als sie Corele darauf angesprochen hatte – angeblich war sie Mitglied derselben Ajah wie Nynaeve –, hatte sich die Frau schlichtweg geweigert, sie als Gleichgestellte anzuerkennen. Sie war sehr höflich gewesen, wie es meistens Coreles Art war, aber die Bedeutung war klar gewesen. Sie war mitfühlend erschienen. Mitfühlend! Als würde Nynaeve ihr Mitgefühl brauchen. Corele war der Ansicht gewesen, dass es Nynaeves Glaubwürdigkeit stärken würde, wenn sie die einhundert Gewebe kannte, die jede Aufgenommene für die Prüfung zur Aes Sedai lernen musste.
Dummerweise brachte das Nynaeve in eine Situation, in der sie im Grunde wieder wie eine Schülerin behandelt wurde. Sie sah ja ein, warum es von Nutzen war, die einhundert Gewebe zu kennen – sie hatte viel zu wenig Zeit gehabt, sie zu studieren, und buchstäblich jede Schwester kannte sie. Aber indem sie sich mit dem Unterricht einverstanden erklärte, hatte sie nicht andeuten wollen, dass sie sich selbst als Schülerin sah!
Sie griff nach ihrem Zopf und bremste sich. Die Art und Weise, wie sie ihre Gefühle sichtlich zum Ausdruck brachte, trug ebenfalls dazu bei, wie sie von den anderen Aes Sedai behandelt wurde. Hätte sie doch nur dieses alterslose Gesicht! Pah!
Daigians nächstes Gewebe verursachte ein lautes Ploppen in der Luft, und wieder war es unnötig kompliziert. Nynaeve kopierte es, ohne groß darüber nachzudenken, und vertraute es zugleich ihrer Erinnerung an.
Daigian starrte das Gewebe einen Augenblick lang an, einen nachdenklichen Ausdruck auf dem Gesicht.
»Was?«, fragte Nynaeve gereizt.
»Hm? Oh, nichts. Ich … es ist nur … als ich dieses Gewebe das letzte Mal erschuf, benutzte ich es, um … ich … egal.«
Eben. Ihr Behüter war jung gewesen, fünfzehn oder sechzehn, und sie hatte ihn sehr gemocht. Eben und Daigian hatten Spiele gespielt, wie ein Junge und seine ältere Schwester und weniger wie Aes Sedai und Behüter.
Ein Junge, der gerade mal sechzehn war, dachte Nynaeve, tot. Muss Rand sie denn so jung rekrutieren?
Daigians Miene erstarrte, sie konnte ihre Gefühle viel besser verbergen, als Nynaeve das je geschafft hätte.
Möge das Licht dafür sorgen, dass ich nie in die gleiche Situation gerate, dachte sie. Jedenfalls nicht für viele, viele Jahre. Noch war Lan nicht ihr Behüter, aber sie wollte ihn so schnell wie möglich dazu machen. Schließlich war er schon ihr Ehemann. Es ärgerte sie noch immer, dass Myrelle den Bund übernommen hatte.
»Ich könnte vielleicht helfen, Daigian«, sagte sie, beugte sich vor und legte der Frau die Hand aufs Knie. »Wenn ich
Weitere Kostenlose Bücher