Das Rad der Zeit 13. Das Original: Mitternachtstürme (German Edition)
diesem Ort realer als in der wachen Welt. Der Traum spiegelte einen Sturm wider, weil etwas Wichtiges geschah. Perrin sorgte sich, dass es etwas Böses war.
Er kämpfte sich weiter nach oben, stapfte durch den Schnee, kroch über Felsen. Auf dem eiskalten Stein blieb die Haut seiner Fingerkuppen haften. Aber er hatte in den vergangenen Wochen viel gelernt. Er sprang über Abgründe, die er unmöglich hätte überspringen können, und er kletterte Felsen hinauf, die für ihn zu steil hätten sein müssen.
Ganz oben auf der Spitze des zerbrochenen und zerklüfteten Berggipfels stand eine Gestalt. Perrin kletterte weiter. Jemand musste Zeuge sein. Jemand musste da sein, wenn es geschah.
Schließlich zog sich Perrin einen letzten Felsvorsprung hinauf und war nur noch ein Dutzend Schritte vom Gipfel entfernt. Jetzt konnte er die Gestalt erkennen. Der Mann stand genau im Zentrum des Sturmwindes und starrte reglos nach Osten. Durchsichtig und nur schwer auszumachen, war er das Spiegelbild der realen Welt. Wie ein Schatten. Perrin hatte noch nie zuvor etwas Vergleichbares gesehen.
Natürlich handelte es sich um Rand. Perrin hatte gewusst, dass nur er das sein konnte. Mit einer zerschundenen Hand hielt er sich am Felsen fest und zog mit der anderen den Umhang enger – den Umhang hatte er schon vor mehreren Klippen erschaffen. Er blinzelte mit den geröteten Augen und schaute in die Höhe. Den Wind abzuwehren, um nicht in den Sturm hinausgeweht zu werden, kostete ihn den größten Teil seiner Willenskraft.
Plötzlich zuckten Blitze auf, und zum ersten Mal seit Beginn seines Aufstiegs krachte der Donner. Diese Blitze formten eine Kuppel um den Berggipfel. Sie warfen ihr Licht auf Rands Gesicht. Auf dieses harte, unbewegte Antlitz, das wie in Stein gemeißelt erschien. Wohin waren die weichen Züge verschwunden? Wann hatte Rand so viele Falten und harte Linien bekommen? Und diese Augen, sie schienen aus Marmor zu bestehen!
Rand trug einen Umhang in Rot und Schwarz. Mit prächtigen Stickereien versehen; an der Taille hing ein Schwert. Der Sturm hatte keinen Einfluss auf Rands Kleidung. Sie war unnatürlich bewegungslos, als wäre er tatsächlich nichts anderes als eine Statue. Aus Stein gemeißelt. Das Einzige, das sich dort bewegte, war sein dunkelrotes Haar, das in alle Richtungen wehte.
Perrin klammerte sich an dem Felsen fest, der eisige Wind schnitt in seine Wangen, Finger und Füße waren so taub, dass er sie kaum noch fühlte. In seinem Bart knisterten staubiges Eis und Schnee. Plötzlich rotierte etwas Schwarzes um Rand. Es gehörte nicht zum Sturm; es hatte den Anschein, als sickerte die Nacht selbst aus ihm heraus. Ranken wuchsen aus seiner Haut, als würden sich winzige windende Hände um seinen Körper wickeln. Sie sahen aus wie das Gestalt gewordene Böse.
»Rand!«, brüllte Perrin. »Kämpf dagegen an! Rand!«
Seine Stimme verhallte im Sturm, und er bezweifelte sowieso, dass Rand ihn hätte hören können. Die Finsternis sickerte weiterhin aus ihm heraus, als dringe flüssiges Pech aus den Poren, um einen Pesthauch um den Wiedergeborenen Drachen zu erschaffen. Innerhalb weniger Augenblicke konnte Perrin Rand kaum noch inmitten der Dunkelheit erkennen. Sie hüllte ihn ein, schnitt ihn von allem ab, verbannte ihn. Der Wiedergeborene Drache war verschwunden. Allein das Böse blieb.
»Rand, bitte …«, flüsterte Perrin.
Und dann spaltete ein winziger Lichtfunke das Böse – aus der Mitte der Finsternis, aus dem Zentrum von Aufruhr und Sturm. Wie Kerzenschein in einer finsteren Nacht. Das Licht strebte wie ein Fanal in die Höhe, auf den fernen Himmel zu. Es war so schwach.
Der Sturm peitschte dagegen. Wind heulte, stürmte und toste. Blitze schlugen auf dem Felsgipfel ein, sprengten Steinbrocken los, gruben tiefe Risse in den Boden. Die Finsternis wogte und pulsierte.
Aber das Licht leuchtete weiter.
In der schwarzen Hülle des Bösen erschien ein feiner Riss; dahinter strahlte es hell. Ein weiterer Riss kroch darauf zu, dann noch einer. In ihrem Inneren befand sich etwas Starkes, etwas Glühendes, Strahlendes.
Die Hülle wurde aufgesprengt, sie löste sich auf und entließ eine Lichtsäule von solcher Helligkeit, dass sie Perrins Augen zu versengen schien. Aber er schaute trotzdem hin, hob keinen Arm, um den Kopf zu schützen oder das strahlende Bild vor ihm auszusperren. Mitten im Licht stand Rand, den Mund geöffnet, als würde er den Himmel anbrüllen. Die sonnengelbe Säule schoss in die Luft,
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