Das Rad der Zeit 13. Das Original: Mitternachtstürme (German Edition)
niemals verlassen. Würde Elayne erwarten, dass Rand bei ihr blieb? Würde das bedeuten, dass auch sie das tun musste?
Das alles war so beunruhigend, sowohl für sie wie auch für ihr Volk. Traditionen sollten nicht aufrechterhalten werden, nur weil es Traditionen waren. Stärke war keine Stärke, wenn kein Sinn oder Ziel dahintersteckte.
Sie musterte Rhuidean, ein so großartiger Ort aus Stein und majestätischer Pracht. Die meisten Städte widerten sie mit ihrem Dreck an, aber Rhuidean war anders. Kuppeldächer, zur Hälfte fertig gestellte Monolithen und Türme, sorgfältig geplante Stadtteile mit Häusern. Die Brunnen plätscherten nun, auch wenn ein großer Teil der Stadt noch immer die Narben von Rands Kampf trug. Vieles davon war mittlerweile von den Familien, die dort lebten, beseitigt worden. Aiel, die nicht in den Krieg gezogen waren.
Es würde keine Läden geben. Keinen Streit auf der Straße, keinen Mord in den Gassen. Möglicherweise hatte Rhuidean ja seine Bedeutung verloren, aber es würde immer ein Ort des Friedens bleiben.
Ich mache weiter, entschied sie. Ich gehe durch die Glassäulen. Möglicherweise waren ihre Sorgen berechtigt und dieser Weg war nicht mehr so bedeutend wie früher, aber sie war wirklich neugierig darauf, das zu sehen, was die anderen gesehen hatten. Davon abgesehen war das Wissen um die Vergangenheit wichtig, wenn man die Zukunft verstehen wollte.
Weise Frauen und Clanhäuptlinge hatten diesen Ort jahrhundertelang besucht. Zurückgekehrt waren sie mit Wissen. Vielleicht würde ihr die Stadt ja zeigen, was sie mit ihrem Volk und ihrem eigenen Herzen tun musste.
KAPITEL 46
Lederarbeiten
A ndrol holte vorsichtig das ovale Lederstück aus dem dampfenden Wasser; es war dunkel geworden und krümmte sich. Er nahm es vorsichtig mit seinen schwieligen Fingern. Das Leder war jetzt elastisch.
Schnell setzte er sich an seinen Arbeitstisch. Durch das Fenster auf seiner rechten Seite kam ein Rechteck Sonnenlicht herein. Er wickelte das Leder um einen dicken, ungefähr zwei Zoll breiten Holzstab, dann bohrte er Löcher in den Rand.
Danach nähte er das Leder an ein anderes Stück, das er bereits vorbereitet hatte. Eine ordentliche Naht an der Kante würde es am Ausfransen hindern. Viele Lederhandwerker nahmen es mit den Nähten nicht so genau. Androl war da anders. Die Nähte waren immer das Erste, das den Leuten auffiel; sie stachen hervor wie die Farbe an der Wand.
Während er arbeitete, trocknete das Leder und verlor etwas von seiner Geschmeidigkeit, aber es war immer noch beweglich genug. Er setzte die Stiche sauber und gleichmäßig. Er zog die letzten fest und benutzte sie, um das Leder um den Holzstab zu binden; er würde sie abschneiden, nachdem das Leder getrocknet war.
Da die Nähte nun fertig waren, fügte er ein paar Verzierungen hinzu. Oben drauf einen Namen, den er mit seinem kleinen Hammer und den Buchstabenstempeln anfertigte. Dann kamen die Symbole von Schwert und Drache; die Vorlagen hatte er selbst nach dem Vorbild der Anstecknadeln der Asha’man hergestellt.
Unten stempelte er mit den kleineren Werkzeugen die Worte »Verteidigen – Bewachen – Beschützen« ein. Während das Leder weiter trocknete, holte er Farben und Tuch, um Buchstaben und Zeichen sorgfältig zu kolorieren, damit sie einen deutlichen Kontrast bildeten.
Diese Arbeit brachte eine gewisse Beschaulichkeit mit sich; ein so großer Teil seines Lebens drehte sich in letzter Zeit allein um Zerstörung. Ihm war bewusst, dass das nicht anders möglich war. Er war hauptsächlich zur Schwarzen Burg gegangen, weil ihm völlig klar war, was da auf sie zukam. Trotzdem war es nett, auch einmal etwas Konstruktives zu tun.
Er legte das Werkteil beiseite, damit es trocknen konnte, und widmete sich in der Zwischenzeit ein paar Sattelriemen. Er maß die Riemen an den auf seinem Tisch angebrachten Markierungen ab, dann griff er nach der Schere im Werkzeugbeutel, der an der Tischkante herabhing – er hatte sie selbst hergestellt. Zu seiner Verärgerung entdeckte er, dass sie nicht an Ort und Stelle war.
Verflucht soll der Tag sein, an dem sich herumgesprochen hat, dass ich gute Scheren habe, dachte er. Trotz Taims angeblich so strengen Regeln in der Schwarzen Burg herrschte hier ein beunruhigendes Maß an Chaos. Grobe Verstöße wurden hart bestraft, aber die kleinen Dinge – wenn zum Beispiel jemand die Werkstatt eines Mannes betrat und sich seine Schere »borgte« – ignorierte man. Vor allem, wenn es
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