Das Rad der Zeit 13. Das Original: Mitternachtstürme (German Edition)
hatte.
Konnte sie fliehen? Von diesem Platz weglaufen und nicht mehr erfahren? Sollte es noch schlimmer werden, würde die Schande sie überwältigen. Leider wusste sie genau, dass hier nur ein Weg herausführte, jetzt, nachdem sie ihn begonnen hatte.
Mit zusammengebissenen Zähnen machte sie den nächsten Schritt.
Sie war Tava, vierzehn Jahre alt. Sie lief schreiend in die Nacht hinaus, fort von ihrem brennenden Haus. Das ganze Tal – eigentlich war es eine Schlucht mit steilen Wänden – stand in Flammen. Jedes Gebäude in der erst kürzlich gegründeten Festung war in Brand gesteckt worden. Albtraumhafte Kreaturen mit biegsamen Hälsen und breiten Schwingen flatterten durch die Nacht und trugen Reiter mit Bögen, schweren und seltsamen neuen Waffen, die beim Schießen zischende Geräusche machten.
Tava schrie und suchte nach ihrer Familie, aber in der Festung herrschte nur Chaos und Verwirrung. Ein paar Aiel-Krieger leisteten Widerstand, aber jeder, der den Speer hob, fiel nur Augenblicke später, getötet von einem Pfeil oder einem der unsichtbaren Schüsse aus diesen neuen Waffen.
Vor ihr starb ein Aiel-Mann, und seine Leiche rollte über den Boden. Sein Name war Tadvishm gewesen, ein Steinhund. Das war eine der wenigen Gemeinschaften, die noch an einer Identität festhielten. Die meisten Krieger gehörten nicht länger einer Gemeinschaft an; sie wurden Bruder oder Schwester von jenen, mit denen sie gerade lagerten. Viel zu oft wurden diese Lager sowieso in alle Himmelsrichtungen verstreut.
Diese Festung hatte anders sein sollen, sie war geheim gewesen, hatte tief in der Wüste gelegen. Wie hatten ihre Feinde sie finden können?
Ein nur zwei Jahre altes Kind weinte. Sie rannte zu ihm und riss es auf die Beine, da es in der Nähe der Flammen lag. Ihre Häuser brannten. Das Holz war unter großen Schwierigkeiten in den Bergen am Ostrand der Wüste zusammengestohlen worden.
Sie hielt das Kind an den Körper und rannte auf die Kluft in der Schlucht zu. Wo war ihr Vater? Mit einem plötzlichen Rascheln landete eine der Albtraumkreaturen vor ihr. Auf dem Rücken der Kreatur saß ein Furcht einflößender Krieger. Sein Helm erinnerte an ein Insekt mit scharfen und gezackten Mandibeln. Er richtete den zischenden Stab auf sie. Sie schrie entsetzt auf, krümmte sich um das schluchzende Kind und schloss die Augen.
Das Zischen ertönte nie. Ein Grunzen und das plötzliche Aufkreischen der schlangenartigen Bestie ließ sie aufsehen. Eine Gestalt kämpfte mit dem Außenweltler. Der Feuerschein zeigte das Gesicht ihres Vaters, der den Geboten der Tradition zufolge glatt rasiert war. Die Bestie bäumte sich unter den beiden Männern auf und schleuderte beide zu Boden.
Wenige Augenblicke später erhob sich ihr Vater mit dem Schwert des Angreifers in seinen Händen; die Klinge war dunkel verfärbt. Der Angreifer rührte sich nicht, und hinter ihnen sprang die Bestie heulend in die Luft. Tava schaute auf und sah, dass sie dem Rest des Rudels folgte. Die Invasoren zogen sich zurück und hinterließen ein gebrochenes Volk mit brennenden Häusern.
Sie schaute wieder nach unten. Der Anblick entsetzte sie; so viele Leichen, Dutzende lagen blutend am Boden. Der Angreifer, den ihr Vater getötet hatte, schien der einzige gefallene Feind zu sein.
»Holt Sand!«, brüllte ihr Vater Rowahn. »Erstickt die Flammen!«
Groß selbst für einen Aiel und mit eindrucksvollen roten Haaren, trug er die alte Kleidung in dunklen und hellen Brauntönen, die Stiefel hoch bis zu den Knien verschnürt. Diese Kleidung zeichnete einen als Aiel aus, darum hatten viele auf sie verzichtet. Als Aiel erkannt zu werden, bedeutete den Tod.
Ihr Vater hatte seine Kleidung von seinem Großvater geerbt, zusammen mit einem Auftrag. Folge den alten Wegen. Vergiss Ji’e’toh nicht. Kämpfe und halte die Ehre aufrecht. Auch wenn er nur wenige Tage in der Festung gewesen war, hörten die anderen auf ihn, als er ihnen befahl, die Brände zu löschen. Tava brachte das Kind einer dankbaren Mutter zurück und half dann Sand und Dreck zu sammeln.
Ein paar Stunden später versammelten sich müde und blutverschmierte Menschen in der Mitte der Schlucht und betrachteten mit stumpfen Blicken, wofür sie monatelang geschuftet hatten. Es war in einer einzigen Nacht ausgelöscht worden. Ihr Vater trug noch immer das Schwert. Er benutzte es, um die Menschen zu dirigieren. Einige der Alten behaupteten, dass ein Schwert Pech brachte, aber warum behaupteten sie das? Es
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