Das Rad der Zeit 13. Das Original: Mitternachtstürme (German Edition)
eingesetzt.
Der wirkliche Wendepunkt des Krieges war der Kriegseintritt der anderen Nationen gewesen. Danach hatten die Seanchaner die Feuchtländer vereinnahmen und mehr Machtlenker aus ihren Rängen ausmerzen können. Die Raben waren unaufhaltsam; nachdem nun auch Tar Valon gefallen war, war jedes Reich der Feuchtländer Untertan der Seanchaner. Allein die Schwarze Burg kämpfte noch, obwohl es die Asha’man im Geheimen taten, da ihre Festung schon vor vielen Jahren gefallen war.
Aiel konnten nicht im Geheimen kämpfen. Darin lag keine Ehre. Obwohl, was spielte Ehre jetzt noch für eine Rolle? Nachdem die Toten längst Hunderttausende zählten? Nach dem Brand von Cairhien und der Säuberung von Illian? Seit zwanzig Jahren hatten die Seanchaner die andoranischen Kriegsmaschinen. Seit Jahrzehnten erlitten die Aiel eine Niederlage nach der anderen; es war ein Testament ihrer Hartnäckigkeit, dass sie so lange durchgehalten hatten.
»Das ist allein sein Fehler«, sagte Takai noch immer mürrisch. »Der Car’a’carn hätte uns zum Ruhm führen können, aber er ließ uns im Stich.«
»Sein Fehler?«, wiederholte Ladalin und begriff vielleicht zum allerersten Mal, warum diese Aussage falsch war. »Nein. Aiel sind für sich selbst verantwortlich. Das ist unsere Schuld und nicht die meines fernen Großvaters. Wir haben vergessen, wer wir sind. Wir haben keine Ehre.«
»Man hat uns unsere Ehre genommen«, erwiderte Takai. »Das Volk des Drachen, in der Tat. Was hat man davon, sein Volk zu sein? Wir wurden zum Speer gemacht, sagt die Legende, geschmiedet im Dreifachen Land. Er benutzte uns, dann warf er uns weg. Was soll ein weggeworfener Speer anderes tun, als in den Krieg zu ziehen?«
Was sollte er in der Tat tun?, dachte Ladalin. Der Drache hatte den Frieden verlangt und geglaubt, dass das den Aiel den Frieden brachte. Aber wie sollten sie glücklich sein, solange die vom Licht verfluchten Seanchaner im Land waren? Ihr Hass auf die Invasoren saß tief.
Vielleicht hatte dieser Hass die Aiel vernichtet. Sie lauschte dem heulenden Wind, als Takai das Zelt verließ. Morgen würden die Aiel ins Dreifache Land zurückkehren. Wenn sie den Frieden nicht akzeptieren konnten, musste man ihn ihnen wohl aufzwingen.
Aviendha machte den nächsten Schritt. Sie hatte fast das Zentrum der Säulen erreicht, und überall um sie herum blitzte Licht auf.
Ihre Tränen liefen nun ungehemmt. Sie kam sich wie ein Kind vor. Ladalin zu sein war am Schlimmsten von allen gewesen, denn in ihr hatte Aviendha Spuren von wahrem Aieltum entdeckt, aber es war verdorben gewesen, als hätte man es zu blankem Spott und Hohn gemacht. Die Frau hatte an den Krieg gedacht und ihn mit Ehre in Verbindung gebracht, hatte aber nicht begriffen, was Ehre eigentlich war. Keine Gai’shain ? Rückzug? Toh war nicht erwähnt worden. Das war ein Kampf, der jeglichen Sinn verloren hatte.
Warum kämpfen? Für Ladalin war es um den Hass auf die Seanchaner gegangen. Es herrschte Krieg, weil immer Krieg geherrscht hatte.
Wie nur? Wie hatte das den Aiel passieren können?
Aviendha tat den nächsten Schritt.
Sie war Oncala, eine Tochter des Speers. Irgendwann würde sie den Speer abgeben und heiraten, genauso wie es ihre Mutter getan hatte und die Mutter ihrer Mutter davor. Aber jetzt war die Zeit zum Kämpfen gekommen.
Sie ging durch die Straßen von Caemlyn, und ihre Nächst–Schwester trug das Banner des Drachen, um ihre Linie zu verkünden. Neben Oncala ging der Mann, für den sie vermutlich ihre Speere abgeben würde. Hehyal, Morgendämmerungsläufer, hatte mehr Seanchaner getötet als sonst jemand in seiner Gemeinschaft und viel Ji errungen. Er hatte letztes Jahr die Erlaubnis erhalten, nach Rhuidean zu reisen, um Clanhäuptling zu werden.
Rhuidean. Die Stadt wurde von den Seanchanern belagert. Oncala verzog höhnisch das Gesicht. Seanchaner hatten keine Ehre. Man hatte ihnen mitgeteilt , dass Rhuidean ein Ort des Friedens war. Die Aiel griffen den Palast in Ebou Dar nicht an. Die Seanchaner sollten Rhuidean nicht angreifen.
Sie waren Eidechsen. Es war eine Quelle ständigen Ärgers, dass die Schlachtlinien nach Jahrzehnten des Krieges beinahe noch genauso waren wie damals, als ihr Großvater zum Shayol Ghul gegangen war.
Sie und Hehyal wurden von zweitausend Speeren als Ehrenwache begleitet. Königin Talana wusste von ihrem Kommen, also standen die weißen Palasttore von Andor offen. Hehyal gab fünfzig vorher ausgesuchten Speeren das Zeichen, sie in
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