Das Rad der Zeit 14. Das Original: Das Vermächtnis des Lichts (German Edition)
Schritte an eine ihrer Machtlenkerinnen herankommst, wirst du entdeckt, ganz egal, wie leise du bist. Sie patrouillieren im Lager, vor allem am Lagerrand.«
Sie runzelte die Stirn. Woher wusste er das? »Du hast dich umgesehen!«
»Ein wenig«, flüsterte er. »Niemand sah mich. Sie durchstöbern die Zelte, nehmen jeden gefangen, den sie erwischen. Wir werden uns hier nicht mehr länger verstecken können.«
Er hätte nicht gehen dürfen, ohne sie zu fragen. »Wir …«
Gawyn versteifte sich, und Egwene verstummte und lauschte. Schlurfende Schritte. Die beiden zogen sich wieder zurück und sahen zu, wie etwa ein Dutzend Gefangene zu einem freien Platz in der Nähe der Stelle gebracht wurden, an der zuvor das Befehlszelt gestanden hatte. Sharaner stellten Fackeln auf Stöcken rings um die zerlumpten Gefangenen auf. Ein paar waren Soldaten, die man so lange geprügelt hatte, bis sie kaum noch laufen konnten. Aber es waren auch Köche und Arbeiter. Sie hatte man ausgepeitscht, ihre Hosen hingen in Fetzen. Allen hatte man die Hemden abgenommen.
Jemand hatte ihnen ein Symbol auf den Rücken tätowiert, das Egwene nicht erkannte. Zumindest hielt sie es für eine Tätowierung. Womöglich hatte man ihnen die Symbole auch eingebrannt.
Während die Gefangenen versammelt wurden, brüllte jemand in der Nähe. Wenige Minuten später kam ein dunkelhäutiger sharanischer Wächter und zerrte einen Botenjungen mit sich, den er anscheinend in seinem Versteck aufgespürt hatte. Er riss dem Jungen das Hemd vom Körper und stieß ihn schluchzend zu Boden. Seltsamerweise trugen die Sharaner Kleidung, auf deren Rücken diamantförmige Löcher ausgeschnitten waren. Egwene konnte sehen, dass der Wächter ebenfalls ein Zeichen aufwies, eine Tätowierung, die auf seiner dunklen Haut kaum auszumachen war. Seine Kleidung erschien sehr formell, mit einer langen, steifen Robe, die fast bis zu den Knien reichte. Sie war ärmellos, aber darunter trug er ein langärmeliges Hemd mit einem diamantförmigen Ausschnitt.
Ein weiterer Sharaner trat aus der Dunkelheit, und dieser Mann war beinahe nackt. Er trug zerrissene Hosen, aber kein Hemd. Statt einer Tätowierung auf dem Rücken hatte er Tätowierungen auf den Schultern. Sie schlängelten sich seinen Hals hinauf, bevor sie Wangen und Kiefer erreichten. Sie erinnerten an hundert verkrümmte Hände, lange Finger mit Krallen, die seinen Kopf von unten hielten.
Der Mann begab sich zu dem knienden Botenjungen. Die anderen Wächter bewegten sich unruhig; wer auch immer der Kerl war, sie fühlten sich in seiner Nähe nicht wohl. Mit einem hämischen Grinsen streckte er die Hand aus.
Plötzlich brannte auf dem Rücken des Jungen ein Symbol wie bei den anderen Gefangenen. Rauch stieg in die Höhe, der Junge schrie vor Schmerzen auf. Gawyn atmete scharf aus. Der Mann mit den ins Gesicht greifenden Tätowierungen … dieser Mann konnte die Macht lenken.
Mehrere Wächter murrten. Egwene konnte sie beinahe verstehen, aber ihr Akzent war so ausgeprägt. Der Machtlenker knurrte wie ein wilder Hund. Die Wächter traten zurück, und der Machtlenker schlenderte davon und verschwand in den Schatten.
Licht!, dachte Egwene.
Ein Rascheln in der Dunkelheit enthüllte zwei der Frauen in aufwendigen Seidengewändern. Eine hatte hellere Haut, und als Egwene näher hinsah, entdeckte sie, dass das auch für einige der Soldaten galt. Nicht alle Sharaner waren so dunkel wie die, die sie bis jetzt gesehen hatte.
Die Gesichter der Frauen waren sehr schön. Zart. Egwene zuckte zurück. Nach dem zu urteilen, was sie zuvor beobachtet hatte, würden die beiden vermutlich Machtlenker sein. Kamen sie ihr zu nahe, würden sie sie vielleicht wahrnehmen.
Die beiden Frauen musterten die Gefangenen. Im Licht ihrer Laternen konnte Egwene auch die Tätowierungen in ihren Gesichtern erkennen, allerdings waren sie bei Weitem nicht so verstörend wie bei den Männern. Hier handelte es sich um Blätter, die vom Nacken aus nach vorn zum Hals führten, unter den Ohren vorbei weiter zu den Wangen, wo sie sich wie entfaltende Blüten ausbreiteten. Die beiden Frauen tuschelten miteinander, und wieder hatte Egwene den Eindruck, dass sie sie fast verstehen konnte. Wenn sie einen Strang weben konnte, um sie zu belauschen …
Närrin, wies sie sich zurecht. Jedes Machtlenken würde sie das Leben kosten.
Um die Gefangenen versammelten sich noch mehr Leute. Egwene hielt den Atem an. Es wurden immer mehr, erst einhundert, dann vielleicht
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