Das Rad der Zeit 14. Das Original: Das Vermächtnis des Lichts (German Edition)
nicht einfach so hinrichten!«
Tuon blinzelte einmal und blickte Min direkt an. Plötzlich schien die Temperatur im Raum zu sinken und wurde kälter. Mat fröstelte. Es gefiel ihm nicht, wenn Tuon so wurde. Dieser starre Blick … er schien einer Fremden zu gehören. Jemandem ohne Mitgefühl. Eine Statue war lebendiger.
Selucias Finger bewegten sich hektisch. Tuon sah sie an, dann nickte sie.
»Ihr seid meine Wahrheitssprecherin«, sagte sie fast zögernd zu Min. »Ihr dürft mich in der Öffentlichkeit berichtigen. Seht Ihr einen Fehler in meiner Entscheidung?«
»Ja, das tue ich«, erwiderte Min ohne zu zögern. »Ihr verwendet meine Fähigkeiten nicht so, wie Ihr solltet.«
»Und wie sollte ich das tun?«, fragte die Kaiserin. Die Soldatin, die soeben ihr Todesurteil erhalten hatte, lag noch immer reglos da. Sie erhob keinen Einspruch – ihr fehlte der nötige Rang, um die Kaiserin ansprechen zu dürfen. Ihre Stellung war sogar so niedrig, dass sie die Ehre verletzen würde, wenn sie überhaupt jemand in Tuons Umgebung anspräche.
»Was jemand vielleicht irgendwann einmal tun wird, ist kein Grund, ihn zu töten«, sagte Min. »Ich will nicht respektlos sein, aber wenn Ihr wegen meiner Worte Leute umbringt, spreche ich nicht mehr.«
»Man kann Euch zum Sprechen bringen.«
»Versucht es«, sagte Min leise. Mat zuckte zusammen. Verdammte Asche, sie sah genauso kalt aus wie Tuon eben. »Sehen wir, wie Euch das Muster behandelt, Kaiserin, wenn Ihr die Überbringerin von Omen foltern lasst.«
Überraschenderweise lächelte Tuon. »Ihr geht gut damit um. Erklärt mir, was Ihr wünscht, Überbringerin von Omen.«
»Ich werde Euch meine Visionen mitteilen«, sagte Min, »aber von jetzt an bleiben der Allgemeinheit die Interpretationen verborgen – ob es sich nun um meine Deutung handelt oder um das, was Ihr aus den Bildern herauslest. Am besten bleiben sie unter uns. Ihr dürft jemanden wegen meiner Worte beobachten lassen, ihn aber nicht bestrafen – nicht ehe ihr ihn bei etwas erwischt. Lasst diese Frau gehen.«
»So soll es sein«, sagte Tuon. »Ihr seid frei«, ließ sie dann durch Selucia verkünden. »Geht in Treue zum Kristallthron. Man wird Euch im Auge behalten.«
Die Frau ging mit tief gesenktem Kopf rückwärts aus dem Raum. Mat sah, wie ihr Schweißperlen die Schläfe hinunterrannen. Also war sie doch keine Statue.
Er wandte sich wieder Tuon und Min zu. Die beiden starrten einander noch immer an. Keine Messer waren blankgezogen, aber es kam ihm so vor, als hätte jemand einen Stich davongetragen. Wenn Min doch bloß nur etwas Respekt lernen würde. Eines Tages würde er sie am Kragen von den Seanchanern wegschleifen müssen, dem Henker einen Schritt voraus, da war er sich sicher.
Plötzlich durchschnitt ein Wegetor die Luft auf der Seite des Raums, die Tuon angewiesen hatte. Schlagartig wurde Mat klar, warum sie den Thron hatte verschieben lassen. Hätte man die Damane gefangen genommen und gezwungen, zu verraten, wo die Kaiserin saß, hätte eine Aes Sedai ein Wegetor genau an dieser Stelle öffnen und sie in zwei Teile schneiden können. Das war so unwahrscheinlich, dass es schon lächerlich war – eher konnte eine Aes Sedai fliegen als jemanden töten, der kein Schattenfreund war –, aber Tuon ging kein Risiko ein.
Das Tor öffnete sich und enthüllte den Saal der Burg, der in einem Zelt saß. Hinter ihnen thronte Egwene auf einem großen Stuhl. Es handelte sich um den richtigen Amyrlin-Sitz, wie Mat erkannte. Blut und Asche … sie hat ihn extra herschaffen lassen.
Egwene sah erschöpft aus, konnte das aber halbwegs überzeugend verbergen. Die anderen sahen nicht besser aus. Die Aes Sedai waren bis an ihre Grenzen gegangen. Wäre sie eine Soldatin gewesen, hätte er sie niemals in die Schlacht geschickt. Blut und verdammte Asche – hätte er einen Soldaten mit solch bleichem Gesicht und diesem Ausdruck in den Augen vor sich gehabt, hätte er dem Burschen eine Woche Bettruhe befohlen.
»Wir sind neugierig, den Zweck dieses Treffens zu erfahren«, sagte Saerin beherrscht.
Silviana saß neben Egwene auf einem kleineren Stuhl, und die restlichen Schwestern waren nach ihren Ajah eingeteilt. Aber Mat schätzte, dass einige fehlten, einschließlich einer der Gelben.
Tuon nickte Mat zu. Er sollte diese Konferenz leiten. Als Erwiderung tippte er sich an die Hutkrempe, was ihm eine hochgezogene Braue einbrachte. Ihr gefährlicher Ausdruck war verschwunden, obwohl sie noch immer die
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