Das Rad der Zeit 5. Das Original: Die Feuer des Himmels (German Edition)
sich zurück zu der Plattform, von der er gekommen war. Das Seil schwankte von einer Seite auf die andere. Die Menge schnappte nach Luft, als sein Fuß abglitt und er stürzte. Doch irgendwie fing er sich und hing an einer Hand, das eine Bein über das Seil gehakt. Luca fing den Taraboner Hut auf, bevor er zu Boden fallen konnte, und rief allen zu, der Mann sei verrückt und er sei nicht verantwortlich dafür, was immer geschehen mochte. Nynaeve presste beide Hände gegen ihren Bauch; sie konnte sich gut vorstellen, dort oben zu sein, und sogar der Gedanke daran reichte aus, dass ihr schlecht wurde. Der Mann war ein Narr. Ein ganz verdammter idiotischer Narr!
Nach einigen Fehlversuchen brachte Juilin es fertig, auch mit der freien Hand das Seil zu ergreifen, und dann zog er sich Hand über Hand daran entlang zur gegenüberliegenden Plattform. Stehend schwankte er noch wild, klopfte sich den nicht existierenden Staub vom Mantel und versuchte, ihn wieder gerade zu ziehen, was letzten Endes dazu führte, dass er ihm nun von der anderen Schulter rutschte. Dann entdeckte er wieder den Krug am Fuß des anderen Mastes. Er deutete glückstrahlend hin und trat wieder auf das Seil hinaus.
Diesmal riefen ihm mindestens die Hälfte der Zuschauer zu, er solle zurückgehen und hinter ihm befinde sich eine Leiter, während die anderen schallend lachten und zweifellos darauf warteten, dass er sich das Genick brach. Diesmal jedoch ging er ganz problemlos hinüber, glitt – die Hände und Füße an den Außenseiten der Taue – die Strickleiter hinunter und hob den Holzkrug auf, um einen langen Zug daraus zu tun. Erst als Luca den roten Hut auf Juilins Kopf setzte und sie sich beide verbeugten, wobei Luca seinen Umhang derart schwenkte, dass Juilin die meiste Zeit über dahinter verborgen war, merkten die Zuschauer, dass alles Teil der Vorführung gewesen war. Einen Augenblick lang herrschte Schweigen, und dann explodierten förmlich der Beifall, das Geschrei und Gelächter. Nynaeve hatte beinahe befürchtet, sie würden es übelnehmen, dass man sie so geleimt hatte. Der Bursche mit der Skalplocke wirkte selbst beim Lachen noch schurkisch.
Luca ließ Juilin an der Strickleiter stehen und stellte sich an seinen Platz zwischen Nynaeve und dem Mann mit der Skalplocke. »Ich hatte mir gedacht, dass ihnen das gefällt.« Es klang unwahrscheinlich selbstzufrieden, und er machte noch kleine Verbeugungen zur Menschenmenge hin, als sei er derjenige auf dem Hochseil gewesen.
Sie sah ihn mit säuerlicher Miene an, hatte aber keine Zeit, den beißenden Kommentar loszuwerden, der ihr auf der Zunge lag, denn Elayne kam durch die Menge gehüpft, stellte sich neben Juilin, breitete die Arme aus und beugte ein Knie zu den Zuschauern hin.
Nynaeve verzog den Mund und rückte gereizt ihr Schultertuch zurecht. Was sie auch von dem roten Kleid hielt, in dem sie sich mit einem Mal wiedergefunden hatte, ohne richtig zu wissen, wie sie hineingekommen war, jedenfalls konnte man Elaynes Kostüm als noch gewagter bezeichnen. Die Tochter-Erbin von Andor stand ganz in Schneeweiß da. Auf ihrer kurzen Weste und der eng anliegenden Hose waren reichlich glitzernde Pailletten aufgestickt. Nynaeve hatte nicht glauben können, dass Elayne tatsächlich mit dieser Kleidung in der Öffentlichkeit auftreten werde, aber sie hatte sich derart mit ihrer eigenen Aufmachung beschäftigt, dass sie ganz vergessen hatte, Elayne die Meinung zu sagen. Weste und Hose ließen sie an Min denken. Es hatte ihr nie gefallen, wenn Min Jungenkleidung anzog, aber diese Farbe nun und der Zierrat ließen Elaynes Kleidung noch – schamloser erscheinen.
Juilin hielt die Strickleiter fest, damit Elayne hinaufklettern konnte, obwohl das gar nicht notwendig gewesen wäre. Sie kletterte ebenso gelenkig hoch wie er es getan hätte. Er verschwand in der Menge, sobald sie oben angekommen war. Dort posierte sie wieder und strahlte über den donnernden Applaus wie über die Bewunderung ihrer Untertanen. Als sie auf das Seil hinaustrat, das nun irgendwie noch dünner erschien als bei Juilin, stockte Nynaeve der Atem, und sie dachte überhaupt nicht mehr an Elaynes Kleidung oder gar ihre eigene.
Elayne ging mit weit ausgebreiteten Armen auf das Seil hinaus, und sie benützte keineswegs die Macht, um auf einem sicheren Pfad aus dem Element Luft laufen zu können. Langsam schritt sie weiter, setzte graziös einen Fuß vor den anderen und wirkte vollkommen sicher, obwohl sie nur auf dem dünnen Seil
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