Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
ich vorhin Logain vorführte?«
»Ich hatte geglaubt, der Raum sei leer, Aes Sedai«, sagte Nynaeve schnell. »Es tut mir leid. Ich hoffe, ich habe nicht zu sehr gestört.« Das war keine Antwort, denn sie konnte ihr kaum sagen, sie habe sich vor Myrelle versteckt, aber die schlanke Blaue sah ihr nur einen Moment lang in die Augen.
»Was glaubt Ihr, wird Rand al’Thor unternehmen, Kind?«
Nynaeve riss verwirrt die Augen auf. »Aes Sedai, ich habe ihn ein halbes Jahr nicht mehr gesehen. Alles, was ich weiß, ist das, was ich hier vernahm. Hat der Saal …? Aes Sedai, was hat der Saal in Bezug auf ihn beschlossen?«
Lelaine musterte aufmerksam Nynaeves Gesicht und schürzte die Lippen. Diese dunklen Augen schienen auf beunruhigende Weise direkt in Nynaeves Kopf zu blicken. »Ein bemerkenswerter Zufall. Ihr kommt aus dem gleichen Dorf wie der Wiedergeborene Drache, genau wie dieses andere Mädchen, Egwene al’Vere. Man hielt große Stücke auf sie, als sie Novizin wurde. Habt Ihr eine Ahnung, wo sie sich befindet?« Sie wartete nicht auf eine Antwort. »Und diese beiden anderen jungen Männer, Perrin Aybara und Mat Cauthon. Beide ebenfalls Ta’veren , wie ich hörte. Wirklich bemerkenswert. Und dann Ihr mit Euren außergewöhnlichen Entdeckungen, trotz Eurer Beschränkungen. Wo sich Egwene auch befinden mag, wird sie sich auch auf Gebiete vorwagen, die keine von uns je betreten hat? Ihr alle habt eine ganze Menge Gesprächsstoff für die Schwestern geliefert, wie Ihr euch denken könnt.«
»Ich hoffe, sie sagen nur das Beste«, stellte Nynaeve bedächtig fest. Man hatte ihnen viele Fragen über Rand gestellt, seit sie nach Salidar gekommen waren und besonders, seit die Delegation nach Caemlyn aufgebrochen war. Manche Aes Sedai schienen kaum ein anderes Thema ihr gegenüber zu kennen. Aber dieses Gespräch war doch etwas anderes. Das war halt auch das Problematische daran, wenn man mit Aes Sedai sprach. Einen großen Teil der Zeit über war man nicht sicher, was sie meinten oder worauf sie hinauswollten.
»Habt Ihr immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben, Siuan und Leane heilen zu können, Kind?« Lelaine nickte, als habe Nynaeve ihr geantwortet, und seufzte. »Manchmal glaube ich, Myrelle hat recht. Wir haben zu viel Geduld mit Euch. Trotz Eurer Entdeckungen sollten wir Euch vielleicht doch in Theodrins Obhut geben, bis Euer Block gegen den wunschgemäßen Gebrauch der Macht gebrochen ist. Wenn man bedenkt, was Ihr in den letzten beiden Monaten fertiggebracht habt, was könntet Ihr dann erst fertigbringen?« Nynaeve griff unbewusst wieder nach ihrem Zopf und bemühte sich, etwas einzuwerfen, einen sorgfältig formulierten Protest beispielsweise, doch Lelaine beachtete ihren Versuch überhaupt nicht. Was möglicherweise auch gut war. »Ihr tut Siuan und Leane keinen Gefallen, Kind. Lasst sie vergessen, wer und was sie waren, und gebt Euch mit dem zufrieden, wer und was sie nun sind. So, wie sie sich benehmen, seid ihr wahrscheinlich das Einzige, was sie davon abhält, ihre Vergangenheit zu vergessen, Ihr und diese törichten Versuche, zu heilen, was nicht zu heilen ist. Sie sind keine Aes Sedai mehr. Warum an falschen Hoffnungen festhalten?«
In ihrer Stimme lag eine Andeutung von Leidenschaft und auch ein wenig Verachtung. Diejenigen, die nicht zu den Aes Sedai gehörten, waren eben minderwertig, und das Ablenkungsmanöver Siuans und Leanes hatte ganz bestimmt eine solche Geringschätzung geradezu eingeladen. Und dann gaben nicht wenige hier Anwesende Siuan die Schuld an den Schwierigkeiten der Burg, weil sie als Amyrlin so ungeschickt taktiert hatte. Höchstwahrscheinlich glaubten sie, die beiden hätten alles verdient, was ihnen geschehen war, und vielleicht noch mehr.
Was ihnen angetan worden war, hatte aber die ganze Lage noch sehr kompliziert. Jemand einer Dämpfung zu unterziehen war selten. Vor Siuan und Leane hatte man einhundertvierzig Jahre lang keine Frau mehr verurteilt und ihrer Fähigkeiten beraubt und seit mindestens einem Dutzend Jahren war keine mehr ausgebrannt. Nach der Dämpfung versuchte eine Frau für gewöhnlich, sich den Aes Sedai so fernzuhalten wie möglich. Hätte man Lelaine einer Dämpfung überzogen, dann hätte sie zweifellos zu vergessen versucht, dass sie jemals eine Aes Sedai gewesen war. Zweifelsohne würde sie auch gern vergessen, dass Siuan und Leane jemals Aes Sedai gewesen waren, dass man ihnen all dies genommen hatte. Wenn man sie einfach als zwei Frauen betrachten
Weitere Kostenlose Bücher