Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
Steinstaub und Fetzen schwarz verkohlter Gemüsereste stoben umher. Nein, nicht Faolain. Die Aes Sedai, die herumsaßen, anstatt etwas zu unternehmen. Sie würde nach Ebou Dar kommen und sie würde dieses Ter’angreal finden; und sie würde es dazu benützen, Sheriam und den ganzen Rest an Rand zu binden. Auf den Knien! Ihr heftiges Niesen zog ihr fast die Schuhe aus.
Sheriam wandte sich von der Stelle ab, von der aus sie durch eine Lücke im Zaun die jungen Frauen beobachtet hatte, und ging die enge Gasse mit der Handvoll verwelkter Unkräuter und Stoppeln entlang. »Ich bedaure das.« Da sie sich jedoch an Nynaeves Worte und ihren Tonfall dabei erinnerte – genau wie an das, was Elayne von sich gegeben hatte, das verdorbene Kind! – fügte sie hinzu: »Ein wenig.«
Carlinya schnaubte höhnisch. Das konnte sie sehr gut. »Wollt Ihr nächstens Aufgenommenen mitteilen, was weniger als zwei Dutzend Aes Sedai wissen?« Nach einem scharfen Blick von Sheriam klappte sie den Mund zu.
»Es gibt Ohren, wo wir sie am wenigsten erwarten«, sagte Sheriam leise.
»Diese Mädchen haben in einer Hinsicht recht«, sagte Morvrin. »Der Gedanke an al’Thor lässt mir die Knie zittern. Welche Möglichkeiten haben wir denn noch, was ihn betrifft?«
Sheriam wusste nicht genau, ob sie nicht schon vor langer Zeit alle Wahlmöglichkeiten verloren hatten. Schweigend schritten sie weiter.
KAPITEL 16
Was das Rad verrät
M it dem Drachenszepter auf den Knien saß Rand entspannt auf dem Drachenthron. Oder zumindest tat er so, als sitze er gemütlich da. Throne waren nicht zur Entspannung geschaffen, und dieser am wenigsten von allen, wie es schien, und doch fasste auch diese Tatsache nur einen Teil seiner Schwierigkeiten zusammen. Auch, dass er Alanna ständig wahrnahm, war nur ein Teil, obwohl das Gefühl ihn andauernd irritierte. Falls er das den Töchtern sagte, würden sie … Nein. Wie konnte er auch nur daran denken? Er hatte sie genügend eingeschüchtert, damit sie sich zurückhielt. Sie hatte noch nicht einmal versucht, die Innenstadt zu betreten. Er würde es wissen, wenn sie das tat. Nein, im Augenblick war Alanna eine noch geringere Sorge als das völlig unzureichende Sitzkissen.
Trotz des silbergeschmückten blauen Kurzmantels, den er bis zum Kragen zugeknöpft hatte, konnte ihm die Hitze nichts anhaben. Er beherrschte Taims Trick mittlerweile wirklich gut. Doch wenn reine Ungeduld Schweiß hervorriefe, hätte er jetzt tropfen müssen, als sei er gerade aus einem Fluss gestiegen. Sich körperlich abzukühlen, stellte kein Problem mehr dar. Im Gegensatz zum Stillsitzen. Er hatte vor, Elayne Andor vollständig und ohne größere Schäden zu übergeben, und heute Morgen würde er den ersten größeren Schritt tun, um das sicherzustellen. Falls sie jemals ankamen.
»… und außerdem«, sagte der hochgewachsene, knochige Mann, der vor dem Thron stand, mit monotoner Stimme, »eintausendvierhundertundreiundzwanzig Flüchtlinge aus Murandy, fünfhundertsiebenundsechzig aus Altara und einhundertneun aus Illian. Soweit die Volkszählung innerhalb des eigentlichen Stadtgebiets bis heute ermitteln konnte, muss ich dazu sagen.« Die wenigen Büschel grauen Haars, die Halwin Norry geblieben waren, standen hinter seinen Ohren steif wie Schreibfedern empor, was gut zu ihm passte, denn er war Morgases Erster Sekretär gewesen. »Ich habe für die Zählung dreiundzwanzig weitere Schreiber eingestellt, aber ihre Anzahl ist dem Ansturm immer noch keineswegs gewachsen und …«
Rand hörte nicht mehr hin. Er war wohl dankbar dafür, dass der Mann nicht wie so viele andere weggelaufen war, aber er war nicht sicher, ob für Norry irgendetwas anderes existierte als die Zahlen in seinen Büchern. Er verlas die Anzahl der Todesfälle während der Woche und den Preis der Zwiebeln, die vom Land herangeschafft wurden, im gleichen trockenen Tonfall und ordnete die täglichen Bestattungen von mittellosen, alleinstehenden Flüchtlingen genauso teilnahmslos an wie die Einstellungen von Steinmetzen, die bei der Reparatur der Stadtmauer helfen sollten. Illian war nur ein anderes Land für ihn, nicht der Aufenthaltsort Sammaels, und Rand war eben nur ein weiterer Herrscher.
Wo sind sie?, fragte er sich nervös. Warum hat Alanna nicht wenigstens versucht, sich an mich heranzumachen? Moiraine hätte sich niemals so leicht abschrecken lassen.
Wo sind alle die Toten?, flüsterte Lews Therin. Warum schweigen sie nicht endlich?
Rand schmunzelte
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