Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
Ihr, ich würde Zeit und Mühe daran verschwenden, Eis aufzutreiben«, sagte Rand, »wenn die Welt von so vielen Plagen heimgesucht wird?«
Abelles kantiges Gesicht wurde blass, und er schien sich zum nächsten Schluck zwingen zu müssen. Andererseits leerte Luan seinen Pokal mit voller Absicht in einem Zug und hielt ihn hin, damit ihn ein Gai’shain nachfüllen konnte. Dessen grüne Augen blitzten zornig, ganz im Gegensatz zum Ausdruck des unbeirrt mild lächelnden, sonnengebräunten Gesichts. Feuchtländer zu bedienen war, als sei man ein Diener, und die Aiel verabscheuten auch nur den bloßen Gedanken daran. Wie sich diese Abscheu mit dem Konzept des Gai’shain vertrug, hatte Rand noch nicht herausbekommen, aber es war nun einmal so.
Dyelin hatte ihren Pokal fest auf die Knie gestellt und beachtete ihn nicht mehr. Aus dieser Nähe konnte Rand in ihrem goldenen Haar einige graue Strähnen sehen. Sie war trotzdem hübsch, da sie durch das Haar Morgase und Elayne glich. Als Nächste in der Thronfolge musste sie zumindest eine Cousine Morgases sein und ihr recht nahestehen. Sie runzelte kurz die Stirn, als sie ihn ansah, und schien den Kopf schütteln zu wollen, doch dann sagte sie: »Wir sind über die Heimsuchungen der Welt besorgt, doch am meisten über diejenigen in Andor. Habt Ihr uns hergeholt, um ein Mittel dagegen zu finden?«
»Falls Ihr eines kennt«, erwiderte Rand schlicht. »Falls nicht, muss ich woanders suchen. Viele glauben, die rechte Kur zu kennen. Wenn ich diejenige nicht finden kann, die mir zusagt, muss ich eben die nächstbeste wählen.« Das ließ sie ihre Lippen verziehen. Auf ihrem Weg hierher hatte Bashere sie durch einen Innenhof geführt, in dem sie Arymilla und Lir und die anderen zurückgelassen hatten, um sich auszuruhen. Es machte den Eindruck, als entspannten sie sich im Palast. »Ich nehme an, Ihr wollt mir helfen, Andor wieder zusammenzufügen. Ihr habt meine Proklamation vernommen?« Er musste nicht erst sagen, um welche es sich handelte, denn in diesem Zusammenhang konnte nur eine gemeint sein.
»Eine Belohnung, die der erhält, der Neuigkeiten von Elayne bringt«, sagte Ellorien tonlos, und ihre Miene versteinerte sich noch mehr, »die zur Königin gekrönt werden soll, nun, da Morgase tot ist.«
Dyelin nickte. »Das erscheint mir eine gute Sache.«
»Mir nicht!«, fauchte Ellorien. »Morgase hat ihre Freunde betrogen und ihre ältesten Anhänger vertrieben. Lasst uns dem Hause Trakand ein Ende auf dem Löwenthron bereiten.« Sie schien Rand vergessen zu haben. Das hatten sie alle.
»Dyelin«, sagte Luan knapp. Sie schüttelte den Kopf, als habe sie all das schon öfter gehört doch er fuhr fort: »Sie hat den ersten Anspruch. Ich stimme für Dyelin.«
»Elayne ist Tochter-Erbin«, sagte ihnen die Frau mit dem goldenen Haar in ruhigem Ton. »Ich stimme für Elayne.«
»Welche Rolle spielt es schon, für wen einer von uns stimmt?«, wollte Abelle wissen. »Wenn er Morgase getötet hat, wird er …« Abelle hielt inne und verzog das Gesicht. Dann blickte er Rand an, nicht trotzig, aber herausfordernd, als wolle er sagen: ›Stellt mit mir an, was Ihr wollt.‹ Und er erwartete wohl auch das Schlimmste.
»Glaubt Ihr das wirklich?« Rand sah den Löwenthron auf seinem Podest traurig an. »Warum, beim Licht, sollte ich Morgase töten, nur um den Thron anschließend Elayne zu übergeben?«
»Nur wenige wissen, was sie glauben sollen«, sagte Ellorien unbeholfen. Auf ihren Wangen waren noch immer rote Flecken zu sehen. »Die Menschen behaupten viele Dinge, und die meisten davon sind schlichtweg töricht.«
»Beispielsweise?« Er stellte ihr die Frage, doch es war Dyelin, die sie beantwortete, wobei sie ihm in die Augen sah: »Dass Ihr in der Letzten Schlacht kämpfen und den Dunklen König töten werdet. Dass Ihr ein falscher Drache seid, oder die Marionette der Aes Sedai, oder beides. Dass Ihr Morgases unehelicher Sohn seid, oder ein Hochlord aus Tear, oder ein Aielmann.« Sie runzelte einen Augenblick lang erneut die Stirn, sprach aber weiter: »Dass Ihr der Sohn einer Aes Sedai und des Dunklen Königs seid. Dass Ihr der Dunkle König selbst seid, oder der fleischgewordene Schöpfer. Dass Ihr die Welt zerstören werdet, oder sie retten, sie unterjochen, ein neues Zeitalter bringen. Es gibt so viele Meinungen, wie es Münder gibt. Die meisten sagen. Ihr hattet Morgase getötet. Viele glauben das auch in Bezug auf Elayne. Sie sagen, Eure Proklamation sei nur eine Maske, um
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