Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
sich.
»Einige der Frauen aus Cairhien bewundern die Töchter des Speers«, sagte Berelain lächelnd. »Sie wollen auch Töchter werden. Nur des Schwerts allerdings, wie ich vermute, und nicht des Speers.« Sulins Körper versteifte sich empört, und die anwesenden Töchter verständigten sich durch Handzeichen. Sie alle schienen sich aufzuregen. »Dies sind Töchter aus Adelshäusern«, fuhr Berelain fort. »Ich habe sie hierbleiben lassen, weil ihre Eltern ihnen keine Erlaubnis gegeben hatten. Es gibt in der Stadt mittlerweile ein Dutzend Schulen, in denen man Frauen im Schwertkampf unterrichtet, doch viele Frauen müssen sich heimlich hinschleichen, um teilnehmen zu können. Natürlich beschränkt sich der Einfluss nicht nur auf Frauen. Die jüngeren Einwohner Cairhiens sind von den Aiel sehr beeindruckt. Sie übernehmen sogar Ji’e’toh .«
»Sie verdrehen alles«, grollte Rhuarc. »Viele wollen mehr von unseren Sitten wissen, und wer würde nicht die Gelegenheit nutzen, jemandem beizubringen, wie man sich anständig verhält? Selbst einem Baummörder.« Er wirkte, als wolle er ausspucken. »Aber sie übernehmen, was man ihnen sagt, und dann verdrehen sie es.«
»Nein, es wird nicht verdreht«, protestierte Berelain. »Sie passen es nur den Gegebenheiten an, denke ich.« Rhuarc zog die Augenbrauen ein klein wenig hoch und seufzte. Haviens Miene war ein Musterbeispiel für Entrüstung, als er die Meinung seiner Herrscherin so infrage gestellt sah. Weder Rhuarc noch Berelain bemerkten das allerdings, denn beide achteten nur auf Rand. Er hatte das Gefühl, diese Auseinandersetzung zwischen den beiden habe sich schon oft abgespielt.
»Sie verändern es«, wiederholte Rhuarc nachdrücklich. »Diese Narren in Weiß dort unten behaupten, sie seien Gai’shain . Gai’shain! « Die anderen Aielmänner murmelten erregt miteinander, während die Töchter sich wieder in ihrer Zeichensprache verständigten. Havien blickte ein wenig nervös drein. »In welchem Kampf oder bei welchem Überfall wurden sie gefangen genommen? Welches Toh haben sie auf sich geladen? Ihr habt mein Verbot gutgeheißen, Berelain Paeron, in der Stadt Kämpfe auszutragen, aber sie duellieren sich, sobald sie glauben, sie würden nicht entdeckt, und der Verlierer legt die weiße Robe an. Wenn einer den anderen schlägt und beide bewaffnet sind, bittet der Geschlagene um ein Duell, und wenn ihm das verweigert wird, legt er das Weiß an. Was hat das mit Ehre und Verpflichtung zu tun? Sie verdrehen alles und tun Dinge, bei denen selbst ein Sharamann erröten würde. Man sollte diesem Treiben Einhalt gebieten, Rand al’Thor.«
Berelain streckte trotzig das Kinn vor, und ihre Hände verkrampften sich in ihren Rock. »Junge Männer kämpfen doch immer.« Ihr Tonfall klang so weise und erfahren, dass man beinahe vergaß, wie jung sie noch war. »Aber seit sie damit begonnen haben, ist kein einziger mehr in einem Duell ums Leben gekommen. Kein einziger! Das allein ist es wert, sie auf diese Art weitermachen zu lassen. Außerdem habe ich mich gegen Väter und Mütter gestellt, und einige von ihnen kamen aus mächtigen Familien, die wollten, dass ich ihre Töchter wieder heimschicke. Ich werde diesen jungen Frauen nicht verweigern, was ich ihnen versprochen habe.«
»Behaltet sie, wenn Ihr wollt«, sagte Rhuarc. »Lasst sie lernen, mit dem Schwert umzugehen, falls sie es wünschen. Aber sie sollen aufhören, zu behaupten, sie folgten Ji’e’toh . Macht dem ein Ende, dass sie das Weiß anlegen und behaupten, sie seien Gai’shain . Was sie tun, beleidigt unsere Sitten.« Der eisige Blick seiner blauen Augen war zwar auf Berelain gerichtet, doch diese wiederum blickte ausschließlich Rand mit ihren großen, dunklen Augen an.
Rand zögerte nur einen Augenblick lang. Er glaubte, zu verstehen, was die jüngeren Menschen in Cairhien zu Ji’e’toh hinzog. Zweimal war ihr Land innerhalb von zwanzig Jahren von den Aiel erobert worden; sie mussten sich fragen, ob das Geheimnis vielleicht in diesen Sitten liege. Oder sie glaubten möglicherweise, ihre Niederlagen bewiesen einfach, dass die Aiel die bessere Lebensauffassung hätten. Eindeutig regten sich die Aiel darüber auf, dass man sich ihrer Ansicht nach über ihre Sitten lustig mache, aber in Wirklichkeit waren ein paar der Gründe, weswegen Aiel zu Gai’shain wurden, nicht weniger eigenartig. Beispielsweise betrachtete man es als feindselig, wenn man mit einem Mann über dessen Schwiegervater oder mit
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