Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
hatten eine Vorliebe für strenge Ordnung. Alles war nach festen Mustern angeordnet: gestickte Blumen und Vögel, Hirsche oder Leoparden auf der Jagd oder Adlige in der Schlacht. Die Diener, die schnell aus dem Weg sprangen, trugen für gewöhnlich farbige Streifen an den Manschetten und das Abzeichen des jeweiligen Adelshauses auf das Wams genäht. Gelegentlich sah man einen Kragen oder Ärmel in den Farben des Hauses, sehr selten allerdings bei einem Rock oder Kleid. Nur höhergestellte Diener zeigten mehr Farbe. Die Einwohner Cairhiens liebten die Ordnung und konnten Extravaganzen nicht leiden. In den wenigen Nischen standen goldene Schalen oder eine Vase des Meervolks, aber selbst diese waren leer und wiesen eine strenge Linienführung auf, die kaum Kurven oder Krümmungen sichtbar werden ließ. Wenn der Gang sich zu einer Arkade mit Pfeilern wandelte und die Aussicht auf einen tiefer gelegenen Garten freigab, sah man, dass die Pfade ein regelmäßiges Gitter ergaben, wobei jedes Blumenbeet genau die gleiche Größe aufwies, mit gleichartigen Sträuchern und Zierbäumen bepflanzt war, die wiederum gleich beschnitten waren und in gleichem Abstand voneinander standen. Hätte die Dürre noch Blumen am Leben gelassen, war Rand sicher, dass auch ihre Blüten kerzengerade Linien gebildet hätten.
Rand wünschte sich, Dyelin könne diese Schalen und Vasen sehen. Die Shaido hatten alles mitgenommen, was sie tragen konnten, oder verbrannt, was sie zurücklassen mussten, aber solches Verhalten widersprach Ji’e’toh . Auch die Aiel, die Rand folgten und die Stadt gerettet hatten, hatten geplündert, doch streng nach ihren Regeln. Wenn sie im Krieg einen Ort einnahmen, war ihnen erlaubt, ein Fünftel dessen mitzunehmen, was der Ort zu bieten hatte, und keinen Löffel darüber hinaus. Bael hatte zögernd zugestimmt, das in Andor zu verbieten, aber Rand war der Meinung, auch hier benötige man eine genaue Liste, um festzustellen, was mitgenommen worden war.
Trotz allem Hin und Her unterwegs schafften Corman und Havien es nicht, Rhuarc oder Berelain aufzuspüren, bis sie schließlich selbst gefunden wurden.
Die beiden kamen von sich aus zu Rand, als er unter einer der Arkaden stand, ganz ohne Hofstaat oder sonstige Begleitung, was ihm nur umso mehr das Gefühl gab, an der Spitze eines Umzugs zu marschieren. Rhuarc in seinem Cadin’sor , graue Strähnen im dunkelroten Haar, hatte die Shoufa lose um seinen Hals gelegt. Er trug keine Waffe bis auf ein schweres Aielmesser. Er überragte Berelain, eine blasse, schöne junge Frau in einem blau-weißen Kleid, das so tief ausgeschnitten war, dass Rand sich unwillkürlich räuspern musste, als sie einen tiefen Knicks machte. Sie hatte das Diadem der Ersten, das einen goldenen Habicht im Flug darstellte, in ihr glänzendes schwarzes Haar gesteckt, das ihr in schweren Locken auf die nackten Schultern fiel.
Vielleicht war es ganz gut, dass Aviendha gegangen war. Manchmal zeigte sie sich ziemlich gewalttätig Frauen gegenüber, von denen sie annahm, sie wollten sich an ihn heranmachen.
Plötzlich wurde ihm bewusst, dass Lews Therin in seinem Kopf eine wortlose Melodie summte. Etwas daran erschien ihm beunruhigend, aber was …? Summen. Wie ein Mann, der eine hübsche Frau bewundert, die ihn noch nicht einmal bemerkt.
Hör auf damit!, rief Rand im Kopf. Hör auf, durch meine Augen zu blicken! Er wusste nicht, ob ihn Lews Therin gehört hatte – gab es dort überhaupt jemanden, der ihn hören konnte? –, aber das Summen hörte auf.
Havien fiel auf ein Knie nieder, doch Berelain bedeutete ihm mit einer geistesabwesenden Geste, sich zu erheben. »Ich hoffe, meinem Lord Drachen geht es gut, und alles steht in Andor zum Besten?« Berelain hatte die Art von Stimme, das Timbre, das einen Mann zum Zuhören zwang. »Und Euren Freunden Mat Cauthon und Perrin Aybara ebenfalls?«
»Es geht allen gut«, erwiderte er. Sie fragte immer nach Mat und Perrin, so oft er ihr auch versicherte, der eine sei auf dem Weg nach Tear und den anderen habe er nicht mehr gesehen, seit er sich in die Wüste begeben hatte. »Und wie steht es mit Euch?«
Berelain sah zu Rhuarc hinüber, als sie sich Rand anschlossen und mit ihm den nächsten Abschnitt des Korridors betraten. »So gut man es erwarten konnte, mein Lord Drache.«
»Es ist gut, Rand al’Thor«, sagte Rhuarc. Sein Gesicht zeigte kaum einen nennenswerten Ausdruck, aber das war nur selten der Fall.
Rand wusste, dass beide verstanden, warum er
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