Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
Staub. Hier gab es keine Gefahr für ihn.
»Warte, Rand al’Thor«, erklang der eindringliche Ruf einer Frauenstimme von der anderen Seite des Tores her. Aviendhas Stimme.
Rand ließ das Gewebe und Saidin fallen, und augenblicklich verschwand das Tor, als habe es nie existiert. Es gab Gefahren der einen oder der anderen Art. Taim blickte ihn neugierig an. Einige der Töchter, ob verschleiert oder nicht, nahmen sich die Zeit, ihm auch einen gewissen Blick zuzuwerfen. Missbilligende Blicke waren es. Finger zuckten hin und her in der Zeichensprache der Töchter. Sie waren aber vernünftig genug, den Mund zu halten. Da hatte er sich ganz energisch durchgesetzt.
Rand missachtete sowohl Neugier wie Missbilligung und schritt mit Taim an der Seite durch den Wald. Abgestorbene Blätter und kleine Äste raschelten und knackten unter ihren Stiefeln. Die Töchter, die sich in einem weiten Kreis um sie herum mitbewegten, machten mit ihren weichen, bis zu den Knien hochgeschnürten Stiefeln kein Geräusch. Ihre Missbilligung verschwand hinter ihrer Wachsamkeit. Ein paar waren vorher schon mit Rand den gleichen Weg gegangen, immer ohne Zwischenfall, aber nichts konnte sie überzeugen, dass dieser Wald nicht doch ein guter Ort für einen Hinterhalt sei. Vor Rands Ankunft hatte das Leben in der Wüste aus dreitausend Jahren von Überfällen, Scharmützeln, Fehden und Kleinkriegen bestanden, die sich fast ohne Unterbrechung fortsetzten.
Es gab bestimmt Dinge, die er von Taim lernen konnte, wenn auch nicht annähernd so viele, wie Taim glaubte, aber der Lernprozess würde beide Seiten betreffen, und es wurde Zeit für ihn, dem Älteren etwas beizubringen. »Früher oder später werdet Ihr auf die Verlorenen treffen, die mich verfolgen. Vielleicht noch vor der Letzten Schlacht. Wahrscheinlich vorher. Ihr scheint nicht überrascht?«
»Ich habe Gerüchte vernommen. Sie mussten ja schließlich freikommen, das war klar.«
Also breiteten sich die Nachrichten aus. Rand grinste unwillkürlich. Den Aes Sedai würde das nicht gefallen. Von allem anderen abgesehen, empfand er doch ein gewisses Vergnügen dabei, sie in die Nase zu zwicken. »Ihr müsst zu jeder Zeit auf alles gefasst sein. Trollocs, Myrddraal, Draghkar, Graue Männer, Gholam …«
Er zögerte und strich mit der den Reiher tragenden Handfläche über das lange Heft seines Schwerts. Er hatte keine Ahnung, was ein Gholam war. Lews Therin hatte sich wohl nicht gerührt, aber ihm war klar, dass er die Quelle dieser Bezeichnung war. Bruchstücke solcher Informationen sickerten manchmal durch die dünne Barriere zwischen ihm und dieser Stimme und wurden zu einem Teil von Rands eigenen Erinnerungen, gewöhnlich ohne jeden Hinweis auf eine Erklärung. In letzter Zeit geschah das immer öfter. Gegen solche Bruchstücke von Erinnerungen konnte er sich nicht zur Wehr setzen, wie etwa gegen die Stimme des Mannes. Das Zögern dauerte nur einen Moment lang.
»Und nicht nur im Norden in der Nähe der Fäule. Hier und überall. Sie benutzen die Kurzen Wege.« Das war auch etwas, mit dem er sich auseinandersetzen musste. Ursprünglich mithilfe Saidins geschaffen, waren die Wege nun zu etwas Dunklem geworden, genauso befleckt wie Saidin selbst. Die Schattenwesen konnten jene Gefahren, die innerhalb der Wege die Menschen töteten und noch Schlimmeres mit ihnen anstellten, auch nicht meiden, doch sie brachten es immerhin fertig, sie trotzdem zu benutzen, und wenn man auf diese Art auch nicht so schnell vorwärtskam wie durch die Wegetore beim Schnellen Reisen und nicht einmal so schnell wie beim Gleiten, so konnten sie doch noch an einem Tag mehrere Hundert Meilen zurücklegen. Ein Problem, das er noch zurückstellen musste. Zu viele Probleme, die er erst später in Angriff nehmen konnte. Es gab ja schon jetzt viel zu viele Probleme. Gereizt schlug er mit dem Drachenzepter nach dem Laub eines Lederblattbaums. Fetzen von breiten, zähen Blättern, die sich in der Dürre braun verfärbt hatten, fielen zu Boden. »Alles, was Ihr jemals in irgendwelchen Sagen gehört habt, solltet Ihr auch in Wirklichkeit erwarten. Sogar Schattenhunde. Falls die aber wirklich ein Teil der Wilden Jagd sind, ist wenigstens der Dunkle König, der hinter dieser Meute herreiten sollte, noch nicht frei. Sie sind auch so schlimm genug. Manche kann man auf genau die Art töten, wie es in den Sagen berichtet wird, aber andere wieder kann nichts außer vielleicht Baalsfeuer umbringen, jedenfalls soweit ich festgestellt
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