Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
befanden sich dazwischen, zögerten, wirkten unsicher, meldeten sich aber schließlich auch zu Wort. Rands Eröffnung bedeutete für einige von ihnen das Ende einer wochenlangen Warterei, für andere vielleicht das Ende jahrelang andauernder Träume. Heute begann die Wirklichkeit, und die Wirklichkeit könnte sehr wohl einen Gebrauch der Macht mit sich bringen und alles, was dies für einen Mann bedeuten mochte.
Ein untersetzter Mann mit dunklen Augen, sechs oder sieben Jahre älter als Rand, beachtete Taim nicht weiter und sonderte sich von der Gruppe ab. Mit einer groben Bauernjoppe angetan trat Jur Grady nervös vor Rand von einem Fuß auf den anderen und drehte eine Stoffmütze in seinen grobschlächtigen Händen hin und her. Er blickte auf die Kappe hinab oder auf den Boden unter seinen Füßen, und nur gelegentlich wagte er, seinen Blick zu Rand zu erheben. »Äh … mein Lord Drache, ich … habe mir gedacht … äh … also, mein Vater schaut ja nach meinem Hof … das ist ein schönes Stück Land, wenn der Bach nicht austrocknet … es könnte sogar noch eine Ernte geben, falls es regnet, und … und …« Er zerknüllte die Kappe und glättete sie darauf wieder sorgfältig. »Ich habe daran gedacht, wieder zurück nach Hause zu gehen.«
Die Frauen hatten sich nicht den Männern um Taim angeschlossen. Sie standen schweigend und mit besorgten Blicken in einer Reihe, hielten ihre Kinder fest und beobachteten, was vorging. Die Jüngste, eine mollige Frau mit hellem Haar und einem etwa vierjährigen Jungen, der mit ihren Fingern spielte, war Sora Grady. Diese Frauen waren ihren Männern hierhergefolgt, aber Rand vermutete, dass es in der Hälfte aller Gespräche zwischen den Frauen und ihren Männern darum gehe, nach Hause zurückzukehren. Fünf Männer waren bereits weggegangen, und obwohl niemand als Grund seine Ehe angegeben hatte, waren sie eben doch alle verheiratet gewesen. Welche Frau konnte sich auch dabei wohlfühlen, wenn sie zusah, wie ihr Mann den Umgang mit der Macht erlernte? Das musste etwa so sein, als beobachte man seine Vorbereitungen auf den Selbstmord.
Einige würden meinen, dies sei einfach kein Aufenthaltsort für Familien, aber höchstwahrscheinlich würden die im gleichen Atemzug sagen, dass sich die Männer eigentlich genauso wenig hier befinden sollten. Rands Meinung nach hatten die Aes Sedai den Fehler begangen, sich ganz von der übrigen Welt abzukapseln. Nur wenige außer eben Aes Sedai betraten die Weiße Burg: Frauen, die selbst Aes Sedai werden wollten, und diejenigen, die ihnen dienten. Nur eine Handvoll anderer kam, um Hilfe zu suchen, und auch das nur unter großem Druck, wie sie es empfanden. Wenn Aes Sedai die Burg verließen, dann hielten sie sich von anderen fern, kapselten sich ab, und manche verließen die Burg überhaupt nicht mehr. Für die Aes Sedai waren die Menschen bloße Spielfiguren und die ganze Welt ein Spielbrett, aber kein Ort, an dem man wirklich lebte. Für sie war nur die Weiße Burg real. Doch kein Mann konnte die Welt um sich herum und all die normalen Menschen vergessen, wenn er seine Familie bei sich hatte.
Das alles musste ja nur bis Tarmon Gai’don so weitergehen – wie lange noch? Ein Jahr? Zwei? –, aber die Frage war, ob es überhaupt so lange weitergehen konnte. Irgendwie würde es diese Zeit überdauern müssen. Er musste dafür sorgen. Die Familien erinnerten die Männer immerzu daran, wofür sie eigentlich kämpften.
Soras Blick war auf Rand gerichtet.
»Geht, wenn Ihr wollt«, sagte er zu Jur. »Ihr könnt zu jeder Zeit gehen, bevor Ihr mit dem eigentlichen Erlernen des Umgangs mit der Macht begonnen habt. Sobald Ihr allerdings diesen Schritt getan habt, seid Ihr wie ein Soldat. Ihr wisst, dass wir jeden Soldaten brauchen, den wir auftreiben können, bevor die Letzte Schlacht beginnt, Jur. Der Schatten verfügt dann über neue Schattenlords, die bereitstehen, für ihn die Macht zu lenken, darauf könnt Ihr wetten. Aber die Entscheidung liegt bei Euch. Vielleicht werdet Ihr das auf Eurem Hof überstehen. Es muss ja wohl ein paar Orte auf der Welt geben, die dem entgehen, was auf uns zukommt. Ich hoffe es jedenfalls. Natürlich werden wir anderen alles tun, was in unserer Macht steht, um sicherzustellen, dass so viel wie möglich unbeschadet davonkommt. Ihr könnt aber wenigstens Taim Euren Namen angeben. Es wäre schade, wenn Ihr uns verließet, ohne überhaupt zu wissen, ob Ihr den Gebrauch der Macht erlernen könnt oder nicht.« Er
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