Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
und dieses Wort aus der Alten Sprache bedeutete so viel wie ›die Speere des Drachen‹. ›Speere im Besitz des Drachen‹ wäre allerdings ihrer Hingabe gerechter geworden. Rand fühlte sich ganz und gar unwohl dabei, wenn er die Stirnbänder sah und an ihre Bedeutung dachte, aber er konnte kaum etwas dagegen unternehmen, da die Männer einfach nicht darüber sprachen und nicht einmal zugaben, sie zu tragen. Warum die Töchter diese Dinger nicht benützten, zumindest keine von denen, die er bisher gesehen hatte, war ihm ein Rätsel. Er konnte aus ihnen kaum mehr darüber herausbekommen als aus den Männern.
»Ich sehe Euch, Rand al’Thor«, sagte Roidan ernst. In Roidans Haarschopf war bereits erheblich mehr Grau zu sehen als Blond, doch das Gesicht des breitschultrigen Mannes hätte einem Grobschmied als Hammer oder auch als Amboss dienen können, und den Narben auf seinen Wangen und der Nase nach zu schließen, hatte das auch mehr als einer versucht. Die eiskalten blauen Augen ließen dann aber das Gesicht selbst wieder geradezu weich erscheinen. Er mied jeden Blick auf Rands Schwert. »Ich wünsche Euch, dass Ihr heute Schatten findet.« Das hatte nichts mit der fast weiß glühenden Sonne oder dem wolkenlosen Himmel zu tun – Roidan schien überhaupt nicht zu schwitzen –, sondern war einfach eine Grußformel unter Menschen aus einem Land, wo die Sonne tagaus, tagein herabglühte und wo es kaum einen Baum gab.
Genauso höflich erwiderte Rand: »Ich sehe Euch, Roidan. Auch ich wünsche Euch, dass Ihr heute Schatten findet. Befindet sich Hochlord Weiramon in der Nähe?«
Roidan nickte in Richtung eines großen Zeltpavillons mit rot gestreiften Seitenwänden und einem hochroten Dach, der von Männern mit langen, präzise im gleichen Winkel aufgepflanzten Lanzen Schulter an Schulter umringt war. Sie hatten alle die auf Hochglanz polierten Brustharnische und die schwarz-goldenen Waffenröcke der Verteidiger des Steins an. Über dem Zelt prangten die Drei Halbmonde Tears, weiß auf rotem und goldenem Feld, und die strahlende Aufgehende Sonne Cairhiens, golden auf blauem Feld, zu beiden Seiten von Rands eigener roter Flagge. Alle drei flatterten träge in einer Brise, die aus einem Backofen zu kommen schien.
»Die Feuchtländer befinden sich alle dort.« Roidan sah Rand geradewegs in die Augen und fügte hinzu: »Bruan ist schon drei Tage lang nicht mehr in dieses Zelt gebeten worden, Rand al’Thor.« Bruan war der Clanhäuptling der Nakai Aiel, also von Roidans Clan, und außerdem gehörten sie beide der Salzebenen-Sept an. »Genauso wenig wie Han von den Tomanelle oder Dhearic von den Reyn oder überhaupt ein Clanhäuptling.«
» Ich werde mit ihnen sprechen«, sagte Rand. »Teilt Ihr bitte Bruan und den anderen mit, dass ich hier bin?« Roidan nickte ernst.
Enaila beäugte die Männer von der Seite her, steckte dann den Kopf mit Jalani zusammen und flüsterte ihr so auffällig zu, dass man es auf zehn Schritt Entfernung verstehen konnte: »Weißt du, warum man sie Donnergänger nennt? Sogar wenn sie stillstehen, blicken sie hoch zum Himmel und warten auf Blitze.« Und dann schütteten sich die Töchter beinahe aus vor Lachen.
Ein junger Donnergänger sprang hoch in die Luft und kickte mit einem bestiefelten Fuß in die Luft noch über Rands Kopfhöhe. Er sah gut aus, abgesehen von der runzligen Narbe auf seiner Wange, die sich bis unter den schwarzen Augenverband zog, der eine leere Augenhöhle verdeckte. Auch er trug das Stirnband. »Wisst Ihr, warum die Töchter diese Fingersprache benutzen?«, rief er auf dem Höhepunkt seines Sprunges, und als er landete, schnitt er eine hämische Grimasse. Die war allerdings nicht für die Töchter bestimmt; er sprach mit seinen Kameraden und ignorierte die Frauen. »Selbst wenn sie nicht reden, können sie mit dem Reden nicht aufhören.« Die Sha’mad Conde lachten genauso schallend wie vorher die Töchter.
»Nur Donnergänger betrachten es als Ehre, ein leeres Zelt zu bewachen«, sagte Enaila traurig zu Jalani und schüttelte den Kopf. »Wenn sie das nächste Mal Wein bringen lassen und die Gai’shain ihnen leere Becher reichen, werden sie zweifellos noch viel betrunkener sein als wir mit Oosquai .«
Offenbar waren die Donnergänger der Meinung, Enaila sei aus dieser Flachserei als Siegerin hervorgegangen. Der Einäugige und mehrere andere hoben ihre Schilde aus Stierleder und schlugen mit Speeren darauf, dass es laut klapperte. Sie selbst lauschte dem Lärm
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