Das Rad der Zeit 7. Das Original: Die Krone der Schwerter (German Edition)
hingerichtet. Wenn es herauskäme, könnte Egwene ihr vielleicht bald folgen, und Siuan und Leane ebenso. Sie waren die anderen beiden, die davon wussten. Aber andererseits würde Egwene vielleicht auch nur die Stola wieder abgenommen.
Weil ich eine der Verlorenen vor der Gerichtsbarkeit verberge, dachte sie grimmig, kann ich froh sein, wenn sie mich nur wieder zu den Aufgenommenen stecken. Sie berührte unbewusst den goldenen Großen Schlangenring an ihrer rechten Hand.
Andererseits war eine solche Strafe unwahrscheinlich. Sie hatte gelernt, dass die Weiseste der Schwestern zum Amyrlin-Sitz gewählt würde, war jedoch eines Besseren belehrt worden. Die Wahl zur Amyrlin war genauso heftig – oder vielleicht noch heftiger – umstritten wie die Wahl des Bürgermeisters in den Zwei Flüssen. Niemand machte sich in Emondsfeld die Mühe, gegen ihren Vater anzutreten, aber sie hatte über Wahlen in Nachbarorten gehört. Siuan war nur zur Amyrlin ernannt worden, weil die drei Amyrlins vor ihr jede nach nur wenigen Jahren auf dem Amyrlin-Sitz gestorben waren. Der Saal hatte eine junge Amyrlin gewollt. Einer Schwester gegenüber von Alter zu sprechen, war mindestens genauso unhöflich, wie ihr ins Gesicht zu schlagen, und doch bekam Egwene allmählich eine Vorstellung davon, wie lange Aes Sedai lebten. Nur selten wurde eine Aes Sedai zur Sitzenden erhoben, bevor sie die Stola mindestens siebzig oder achtzig Jahre lang getragen hatte, und zur Amyrlin für gewöhnlich noch später. Häufig viel später. Als sich der Saal also vor weniger als fünfzig Jahren nicht zwischen vier zu Aes Sedai erhobenen Schwestern entscheiden konnte und Seaine Herimon der Weißen Ajah eine Frau vorschlug, welche die Stola erst zehn Jahre getragen hatte, war das vielleicht genauso geschickt wie Siuans verwalterische Fähigkeiten, die die Sitzenden dazu brachten, für sie einzutreten.
Und was war mit Egwene al’Vere, die nach Meinung vieler noch eine Novizin hätte sein sollen? Sie wurde als leicht lenkbare Galionsfigur angesehen, ein Kind, das im gleichen Dorf wie Rand al’Thor aufgewachsen war. Letzteres hatte entscheidend zu ihrer Wahl beigetragen. Sie würden ihr die Stola nicht wieder abnehmen, aber sie würde zu spüren bekommen, dass das geringe Maß an Autorität, das sie sich erkämpft hatte, wieder verloren wäre.
»Das sieht einem Armband sehr ähnlich, das ich Elayne einmal tragen sah.« Die Papiere auf Sheriams Schoß raschelten, als sie sich vorbeugte, um besser sehen zu können. »Und Nynaeve. Sie haben es geteilt, soweit ich mich erinnere.«
Egwene zuckte zusammen. Sie war unvorsichtig gewesen. »Es ist dasselbe. Ein Abschiedsgeschenk von ihnen, als sie fortgingen.« Sie drehte das Silberarmband um ihr Handgelenk und empfand Schuld, die bei ihr allein lag. Das Armband schien unterteilt, aber so geschickt, dass man die Art und Weise nicht genau erkennen konnte. Sie hatte kaum an Nynaeve und Elayne gedacht seit sie nach Ebou Dar gereist waren. Vielleicht sollte sie die beiden zurückrufen. Ihre Suche machte anscheinend kaum Fortschritte, obwohl sie es leugneten. Aber dennoch – wenn sie fanden, was sie suchten …
Sheriam runzelte die Stirn. Egwene konnte nicht sagen, ob wegen des Armbands. Sie durfte jedoch nicht zulassen, dass Sheriam zu viel darüber nachdachte. Wenn sie jemals merkte, dass ›Marigans‹ Halskette dazu passte, würden vielleicht schmerzlich unangenehme Fragen gestellt.
Egwene erhob sich und glättete ihre Röcke, während sie um den Tisch herumtrat. Siuan hatte heute mehrere Informationen erhalten. Jetzt konnte sie eine davon nutzen. Sie war nicht die Einzige, die Geheimnisse hatte. Sheriam schien überrascht, als Egwene zu dicht vor ihr stehen blieb, als dass sie noch hätte aufstehen können.
»Tochter, ich habe erfahren, dass wenige Tage, nachdem Siuan und Leane in Salidar ankamen, zehn Schwestern abgereist sind, zwei von jeder Ajah außer der Blauen. Wohin sind sie gegangen, und warum?«
Sheriam verengte kaum merklich die Augen, aber sie legte ihre Gelassenheit genauso wenig ab wie ihre Kleidung. »Mutter, ich kann mich kaum an jede …«
»Keine Ausflüchte, Sheriam.« Egwene trat noch ein wenig näher, bis sich ihre Knie fast berührten. »Keine Lügen. Die Wahrheit.«
Sheriam runzelte die Stirn. »Mutter, selbst wenn ich es wüsste, dürft Ihr Euch nicht mit jeder Kleinigkeit belasten …«
»Die Wahrheit, Sheriam. Die ganze Wahrheit. Muss ich vor dem ganzen Saal fragen, warum mir meine
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