Das Rad der Zeit 7. Das Original: Die Krone der Schwerter (German Edition)
Närrin. Zu viele der Schwestern griffen nach jeder Ausrede für eine Rast – und auch zu viele der Sitzenden –, aber wenn sie zu lange rasteten, würden sie vielleicht nicht mehr zu einem erneuten Aufbruch zu bewegen sein. Sheriam öffnete den Mund.
»Ein Tag, Tochter«, sagte Egwene fest. Was auch immer Sheriam dachte, Tatsache war, dass Sheriam Bayanar die Bewahrerin der Chroniken war und Egwene al’Vere die Amyrlin. Wenn Sheriam nur dazu gebracht werden könnte, das zu erkennen. Und auch der Saal der Burg, der noch schlimmer war. Auch wenn Egwene nach einem Ausbruch zumute war, hatte sie nach fast eineinhalb Monaten doch bereits eine lebenslange Übung darin, ihr Gesicht und ihre Stimme auch bei weitaus schwerwiegenderen Herausforderungen als dieser unbewegt zu halten. »Wenn wir länger rasten, werden wir dem Land Schaden zufügen. Ich will die Menschen nicht verhungern lassen. Außerdem ist es so, dass sie uns, wenn wir ihnen – auch gegen Bezahlung – zu viel nehmen, im Gegenzug hundert Hindernisse in den Weg stellen werden.«
»Überfälle auf die Herden und Diebe bei den Vorratswagen«, murmelte Siuan. Sie betrachtete ihre grauen Röcke, sah niemanden an und schien nur laut zu denken. »Männer, die bei Nacht auf unsere Wachen schießen und vielleicht Feuer legen, wo immer sie hingelangen. Eine böse Sache. Hungrige Menschen verzweifeln schnell.« Es waren die gleichen Gründe, die Lord Bryne vor Kurzem Egwene mit fast denselben Worten genannt hatte.
Die rothaarige Frau warf Siuan einen verärgerten Blick zu. Viele Schwestern hatten Probleme mit Siuan. Ihr Gesicht war wahrscheinlich das bekannteste im Lager, jung genug, um zu einer Aufgenommenen oder auch einer Novizin zu gehören. Dies war eine Nebenwirkung des Gedämpftwerdens, obwohl nicht viele es bisher erlebt hatten. Siuan konnte kaum einen Schritt tun, ohne dass Schwestern sie anstarrten – den einstigen Amyrlin-Sitz, abgesetzt und von Saidar abgeschnitten, dann Geheilt und wieder mit zumindest einigen Fähigkeiten ausgestattet, obwohl jedermann wusste, dass das eigentlich unmöglich war. Viele hießen sie als Schwester wieder herzlich willkommen, um ihrer selbst willen und wegen des Wunders, das die Hoffnung gegen etwas aufrechterhielt, was jede Aes Sedai mehr als den Tod fürchtete. Aber ebenso viele oder noch mehr duldeten sie nur widerwillig oder behandelten sie herablassend oder beides, weil sie Siuan für ihre gegenwärtige Situation verantwortlich machten.
Sheriam gehörte zu denen, die der Ansicht waren, Siuan sollte die neue Amyrlin im Protokoll und Ähnlichem unterweisen – wovon jedermann glaubte, dass sie es hasste – und ihren Mund halten, bis sie zum Sprechen aufgefordert würde. Sie war weniger, als sie einst gewesen war, keine Amyrlin mehr und nicht mehr so mächtig. Es war keine Grausamkeit, wie Aes Sedai sie verstanden. Die Vergangenheit war vergangen. Was jetzt war, bestand und musste akzeptiert werden. Alles andere brachte nur größere Qualen mit sich. Im Großen und Ganzen sahen die Aes Sedai die Veränderung allmählich ein, und danach war es für die meisten, als ob alles schon immer so gewesen wäre.
»Ein Tag, Mutter, wie Ihr meint«, sagte Sheriam schließlich seufzend und beugte leicht den Kopf. Weniger aus Ergebenheit wie Egwene mit Sicherheit wusste, sondern um ihren eigensinnigen Gesichtsausdruck zu verbergen. Im Moment musste sie es tun.
Siuan beugte ebenfalls den Kopf. Um ein Lächeln zu verbergen. Jede Schwester konnte auf jeden Posten verwiesen werden, aber die gesellschaftliche Hackordnung war recht starr, und Siuan stand erheblich niedriger als früher. Das war ein Grund.
Auf Siuans Schoß lagen die gleichen Papiere wie auf Sheriams Schoß und auf dem Tisch vor Egwene. Berichte über alles – angefangen von der Anzahl der im Lager verbliebenen Kerzen und Bohnensäcke bis zum Zustand der Pferde, und das Gleiche für Lord Brynes Heer. Das Heerlager umgab das der Aes Sedai in einem Kreis, der vielleicht zwanzig Schritt Zwischenraum ließ, aber sie hätten in vielerlei Beziehung genauso gut eine Meile entfernt sein können. Lord Bryne hatte überraschenderweise genauso fest darauf bestanden wie die Schwestern. Die Aes Sedai wollten keine Soldaten zwischen ihren Zelten umherwandern sehen – ein Haufen ungewaschene, ungebildete Grobiane, oft mit flinken Fingern –, und anscheinend wollten die Soldaten auch keine Aes Sedai zwischen ihren Zelten umherlaufen sehen, obwohl sie ihre Gründe dafür, was
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