Das Rad der Zeit 7. Das Original: Die Krone der Schwerter (German Edition)
»Sheriam hat mich wie eine Fliege beiseitegefegt.« Der überraschend zarte Mund verzog sich verbittert. »Sie war fast genauso schnell fort wie Ihr. Habt Ihr nicht bemerkt, dass sie sich Euch ausgeliefert hat? Gewiss tut sie das. Sie, und Anaiya und Morvrin und sie alle.«
Bei ihren letzten Worten betrat Leane das Zelt. Eine große, gertenschlanke Frau, deren kupferfarbenes Gesicht genauso jugendlich wirkte wie das Siuans, die aber in Wahrheit ebenfalls alt genug war, Egwenes Mutter sein zu können. Leane warf einen Blick zu Siuan und hob dann die Hände, soweit das Zeltdach es zuließ. »Mutter, dies ist ein törichtes Risiko.« Ihre dunklen Augen verloren ihre Verträumtheit und blitzten auf, aber ihre Stimme klang träge, selbst wenn sie verärgert war. Sie hatte nur einmal munter geklungen. »Wenn jemand Siuan und mich so zusammen sieht …«
»Es kümmert mich nicht, wenn das ganze Lager erfährt dass Eure Zankerei Schwindel ist«, unterbrach Egwene sie scharf, während sie eine schwache Barriere gegen Lauscher um sie drei wob. Mit der Zeit könnte sie durchdrungen werden, aber nicht, ohne dass es bemerkt würde, nicht solange sie das Gewebe festhielt, anstatt es abzubinden.
Sie sorgte sich, und vielleicht hätte sie nicht beide herbeirufen sollen, aber ihr erster halbwegs zusammenhängender Gedanke war gewesen, die beiden Schwestern zu rufen, denen sie vertrauen konnte. Niemand im Lager vermutete etwas. Jedermann wusste, dass die frühere Amyrlin und ihre ehemalige Bewahrerin einander genauso sehr verabscheuten, wie Siuan es verabscheute, ihre Nachfolgerin unterweisen zu müssen. Sollte irgendeine Schwester die Wahrheit aufdecken, könnte es sehr wohl geschehen, dass sie lange Zeit Buße tun müssten, und keine leichte Buße – Aes Sedai mochten es noch weniger als andere Menschen, zum Narren gehalten zu werden; sogar Könige hatten dafür bezahlen müssen –, aber derweil schlug sich ihre vorgebliche Feindseligkeit in einem gewissen Einfluss auf die anderen Schwestern, einschließlich der Sitzenden, nieder. Wenn sie beide das Gleiche sagten, musste es stimmen. Ein weiterer sehr nützlicher Nebeneffekt des Gedämpftseins, einer, von dem niemand sonst wusste, war der, dass die Drei Eide sie nicht mehr hielten. Sie konnten jetzt ungehindert lügen.
Arglist und Täuschung überall. Das Lager war wie ein stinkender Sumpf, in dem im Nebel unbemerkt seltsame Gewächse gediehen. Vielleicht war es überall so, wo sich Aes Sedai zusammenschlossen. Nach dreitausend Jahren Intrigen, wie notwendig auch immer sie gewesen sein mochten, war es kaum verwunderlich, dass das Ränkeschmieden zur zweiten Natur der meisten Schwestern geworden und für die anderen kaum erwähnenswert war. Wahrhaft schrecklich war, dass sie allmählich Spaß an all diesen Intrigen fanden. Nicht zu ihrem eigenen Nutzen, aber als Geduldspiel. Sie wollte lieber nicht wissen, was das über sie besagte. Nun, sie war eine Aes Sedai, was auch immer die anderen dachten, und sie musste das Schlechte daran genauso hinnehmen wie das Gute.
»Moghedien ist entkommen«, fuhr sie ohne innezuhalten fort. »Ein Mann hat ihr den A’dam abgenommen. Ein Mann, der die Macht lenken kann. Ich denke, einer von ihnen hat die Halskette entfernt. Ich habe es in ihrem Zelt nicht mehr gesehen. Vielleicht könnten wir es mithilfe des Armbands finden, aber wenn nicht, weiß ich nicht weiter.«
Das nahm ihnen alle Kraft. Leanes Beine gaben nach, und sie sank auf den Stuhl, den Chesa manchmal benutzte. Siuan ließ sich langsam auf dem Bett nieder, den Rücken sehr gerade gehalten, die Hände regungslos auf den Knien. Egwene bemerkte unpassenderweise, dass kleine blaue Blumen in tairenischem Muster um den Saum ihres Gewandes gestickt waren. Weitere Stickereien zogen sich adrett über das Oberteil. Wenn man es auf eine Weise betrachtete, bedeutete es sicherlich nur eine kleine Veränderung, dass sie neuerdings auf ihr Äußeres achtete und ihre Kleidung nicht nur passend, sondern auch hübsch sein sollte – sie verfiel niemals in Extreme –, aber auf andere Weise besehen, wirkte es genauso drastisch wie ihr veränderter Gesichtsausdruck. Und rätselhaft. Siuan ärgerte sich über die Veränderungen und widerstand ihnen. Bis auf diese.
Leane hieß die Veränderungen nach wahrer Aes-Sedai-Art willkommen. Da sie wieder jung zu sein schien – Egwene hatte eine Gelbe verwundert ausrufen hören, dass beide absolut in gebärfähigem Alter zu sein schienen –, hätte sie
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