Das Rätsel deiner Leidenschaft
es, erkannt zu werden. Aber das war nicht sein Bestreben heute Abend. Bewusst verlangsamte er seine Atmung.
»Ich möchte Ihnen einen Vorschlag unterbreiten«, sagte er.
Die Nasenflügel des Mannes bebten. »Hat sie Sie geschickt?«
»Ein großer Krieg steht uns bevor«, sagte Spencer, ohne auf die Frage des Mannes einzugehen. »Und England ist nicht vorbereitet.«
»Wir haben das beste Militär der Welt«, gab der Mann empört zurück. Tiefe Furchen bildeten sich auf seiner ohnehin schon faltigen Stirn. »Sie haben vielleicht Nerven!«
Dieser Mann würde keiner der Auserwählten sein, das erkannte Spencer schon jetzt, aber er hatte eine Aufgabe zu erfüllen. Langsam zog er die kleine Phiole aus der Tasche. »Ich habe hier die Lösung. Ein winziger Tropfen nur, und Sie würden klüger, stärker und wachsamer. Sie könnten der beste aller Generäle sein.« Spencer verdrehte fast die Augen. Wenn es nach ihm ginge, würde er sie einfach alle beseitigen und mit Männern seiner eigenen Wahl noch einmal ganz von vorn beginnen. Aber seine ausdrücklichen Anweisungen lauteten, zuerst diesen Männern anzubieten, sich seiner Sache anzuschließen, und sie nur dann zu töten, wenn sie ablehnten.
»Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen, aber ich kann Ihnen versichern, dass ich mehr als befremdet bin. Ich bin bereits der beste General von allen.« Er stützte beide Arme auf den Tisch. »Ich denke, Sie sollten jetzt gehen. Morgen werde ich einen Bericht über diesen Vorfall einreichen. In mein Haus einzudringen, mich zu beleidigen und mir dann irgendein magisches Gebräu anzubieten, das vermutlich nichts anderes als Opium ist! Das ist eine Unverschämtheit ohnegleichen«, knurrte er.
Spencer ließ den Mann zetern; im Grunde fand er die Szene sogar recht unterhaltsam. Besonders angesichts dessen, was gleich geschehen würde.
»Wenn das so ist, befürchte ich, dass Ihre Dienste nicht länger benötigt werden«, sagte er und zog mit einer blitzschnellen Bewegung die Pistole aus seinem Hosenbund. »Ich glaube, ich hatte Ihnen befohlen, sich wieder hinzusetzen.«
Das Gesicht des Generals war von Resignation geprägt, als er langsam wieder seinen Platz einnahm. All die Jahre, die er im militärischen Oberkommando gewesen war, hatten seinen Kampfinstinkt geschärft, und er war vernünftig genug zu wissen, wann er einem überlegenen Gegner gegenüberstand.
»Ich habe sehr viel Geld«, sagte Lancer. »Und ich kann Ihnen den Schmuck meiner Frau geben. Was immer Sie auch wollen, ich kann es Ihnen geben.« Er streckte seine Hand aus. »Und Ihr Angebot nehme ich an. Ich nehme die Phiole.«
Spencer überdachte kurz das Angebot des Generals. Seine militärischen Fähigkeiten hätten sich als nützlich erweisen können, aber jetzt war es zu spät. Die Loyalität des Mannes würde immer fraglich sein. Schade eigentlich.
»Wenn es nur so einfach wäre«, sagte Spencer zu dem Mann. »Ich bin sicher, dass ich einen Mann von Ihrem Format und Ihren Fähigkeiten brauchen könnte. Aber Sie hätten mein Angebot annehmen sollen, als Sie noch die Chance dazu hatten.« Er nahm ein Kissen von dem Sessel hinter ihm, ging damit zum Schreibtisch und richtete seine Waffe auf den General. »Aber es hat nicht sein sollen.«
»Ich brauche nur zu rufen, und schon habe ich einen Raum voller Männer, die mir zu Hilfe eilen«, warnte Lancer, aber sein heftiges Schlucken verriet seine Angst und strafte seine Drohung Lügen.
Denn wäre es wahr, was er sagte, hätte er längst um Hilfe gerufen. Spencer ging um den Schreibtisch herum, trat hinter den General und strich mit dem Lauf der Pistole über dessen dichtes weißes Haar. »Nur zu«, sagte er achselzuckend. »Rufen Sie um Hilfe, wenn Sie wollen, aber dann werde ich gezwungen sein, auch die anderen zu töten. Und ich würde es vorziehen, das nicht zu tun.«
»Hat sie Sie geschickt?« Lancers Stimme schwankte. Dann schüttelte er den Kopf, wie um sich die Frage selbst zu beantworten. »Sicher nicht.«
Genug des Spiels. Sosehr Spencer die Quälerei auch genoss, hatte er doch eine Aufgabe zu erfüllen. »Schluss mit dem Gerede«, flüsterte er. Dann hielt er das Kissen zwischen die Pistole und die Schläfe des Mannes und drückte ab.
Jetzt standen nur noch vier Offiziere auf seiner Liste.
Sabine Tobias drehte sich im Bett herum und starrte an die dunkle Zimmerdecke. Sie hatte keine Nacht mehr gut geschlafen, seit sie vor sieben Monaten nach London gezogen waren. Nachdem sie die ersten vierundzwanzig
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