Das Rätsel der Hibiskus-Brosche
Kuchenstand zu versorgen hatte, noch Nachschub
brauchte und daß, wie gewöhnlich, Mrs. Sutherland
aushelfen mußte. Sie lächelte ihrer Tochter zu, als sie in die Küche kam, und
sagte: »Liebling, mach uns einen guten Tee! Ich habe schrecklichen Durst, aber
ich kann meine Arbeit nicht unterbrechen. Die arme Janet Stone hat mich heute nacht ganz aufgeregt angerufen. Ruth Smythe hatte versprochen, ein paar Sandkuchen beizusteuern,
aber ihre Tante ist gestorben, und Ruth mußte schleunigst in die Stadt fahren.
Da habe ich versprochen, sechs zu backen. Dann habe ich eine ganze Reihe von
Leuten angerufen, die ebenfalls einspringen.«
»Das sieht dir ähnlich, Mum ! Mit anderen Worten, du machst sechs, und die anderen
machen jede einen«, meinte Beth mit liebevollem Spott, während sie den
Elektrokocher anstellte.
»Ach ja, unsere guten Hühner
legen so prächtig, und die anderen scheinen alle um Eier verlegen zu sein. Ach,
da kommt Leo wegen des Milchkübels. Gib ihm auch eine Tasse Tee, Beth!«
Leo Cox sah in dieser frühen
Morgenstunde nicht gerade zum besten aus. Er war ein
riesiger mürrischer Mann mit schweren Augenbrauen und tiefliegenden,
argwöhnischen Augen. Beth wunderte sich oft, daß ihre Mutter immer so nett und
freundlich zu ihm war. Er war freilich ein ausgezeichneter Arbeiter; aber Beth
fand ihn doch äußerst schwierig mit seinen Launen und mit seinen schweren
Anfällen von Depression. Er schloß sich dann regelmäßig in seiner Hütte ein und
trank die ganze Nacht hindurch.
An diesem Morgen war er
stocknüchtern und brachte es doch wenigstens zu einem bärbeißigen »Guten
Morgen« als Antwort auf Mrs. Sutherlands Begrüßung.
Schweigend trank er seinen Tee und trottete dann mit seinem Milchkübel davon.
»Na, er ist ja ganz
liebenswürdig heute morgen . Das ist ja ein wahrer
Segen. Ich wundere mich oft, wie du mit ihm fertig wirst, wenn er einen seiner
Anfälle hat«, meinte Beth.
»Er hat sie nicht so oft, und
er hat auch eine ganze Menge gute Seiten. Er ist sehr ehrlich und ein guter
Arbeiter, und er ist immer bereit, mir zu helfen, wenn er nüchtern ist, was
doch drei Viertel der Zeit der Fall ist. Der arme Mann, er ist sehr
unglücklich!«
»Warum bleibt er denn in dieser
Gegend? Und wie um alles in der Welt kann er sich so um diese gräßliche Vida grämen?? Ich meine, er kann froh sein, daß
er sie los ist. Und wenn er nur einen Funken Verstand besäße, würde er sich
davonmachen und alles, was mit ihr zusammenhängt, vergessen.«
Alice hatte sich gesetzt und
fing an, ihren Tee zu trinken.
»Ach, Beth, so einfach liegen
die Dinge selten. Leo hat seine Frau einmal wirklich geliebt, und irgendwie
liebt er sie noch — und haßt sie zugleich. Eins ist er ihr gegenüber jedenfalls
nicht: gleichgültig. Er hat mir einmal gestanden, daß sie ihn noch immer errege
und daß er sie einfach nicht vergessen könne.«
»Da muß er schön betrunken
gewesen sein, um so einen Unsinn zu reden. Wirklich, sie hatten doch die
schrecklichsten Streitereien miteinander, und jeder fürchtete, es würde eines
Tages mit Mord und Totschlag enden, wenn er das Lokal nicht verließe.«
»Ja, so war es im letzten Jahr,
aber vorher nicht. Sie kamen ganz gut miteinander zurecht, als sie noch ihre
kleine Farm hatten, und ehe Vida diesen unglücklichen Lotteriegewinn machte.
Das Geld hat sie ruiniert und ihre Ehe zerrüttet.«
»Weil sie ihn veranlaßt hat,
die Farm zu verkaufen und das Hotel zu erstehen? ja, warum hat er ihr denn
nachgegeben? Das hätte er ja nicht zu tun brauchen! Das war eine unverzeihliche
Schwäche von ihm.«
»Männer — und auch Frauen —
werden schwach, wenn sie von jemandem bezaubert sind.«
»Bezaubert von so einer Person?
Oh, ja, ich weiß, sie ist hübsch; aber sie hat überhaupt kein Herz.«
Alice stand auf. »Ja, ich
fürchte wirklich, daß sie keine besonders nette Person ist. Aber ich kann hier
kein Plauderstündchen mit dir halten. Ich muß ja die nächsten zwei Kuchen
backen, und die ersten müssen sofort aus dem Ofen.«
Doch Beth wollte noch etwas
sagen: »Merkwürdig, wie so eine Frau so vielen Männern zusetzen kann! Leo, der
so blind ist, daß er sie immer noch liebt, und all die armen Jungs, die sich um
die Kneipe herumtreiben, und der alte Nicols, dessen Hund sie umgebracht hat,
und...«
Hier wurde die Aufzählung von
Vida Cox’ Sündenregister durch Jerry unterbrochen, der hereinkam, entsetzlich
gähnte und dann genüßlich den Kuchenduft einsog, der
die Küche
Weitere Kostenlose Bücher