Das Rätsel der Hibiskus-Brosche
diese Zeit
schon auf und an der Arbeit; denn trotz all ihrer übrigen Fehler - faul war sie
nicht. Doch heute morgen war das Haus kalt und noch
völlig still. Es war ja selten jemand da, denn Mrs. Cox liebte es nicht, wenn Gäste bei ihr übernachteten. Sie verließ sich völlig
auf ihre Bar, die genügend abwarf.
Das ganze Haus war still und
verlassen. Clara wunderte sich darüber, aber sie hatte die Erfahrung gemacht,
daß es besser war, ihre Chefin in keiner Weise über ihre Geschäfte auszufragen,
und so ging sie in die Küche und fing an, das Frühstück vorzubereiten. Dann sah
sie, daß das Tablett nicht berührt war, auf dem sie Tee für die Nacht
bereitgestellt hatte. Vida sagte immer, daß sie den sehr nötig hätte, um sich
morgens wie ein menschliches Wesen zu fühlen. Clara schüttelte den Kopf. Das
war bisher ein- oder zweimal passiert, wenn es in der Nacht ganz besonders
lebhaft zugegangen war, so daß Vida sich am Morgen nicht hatte selbst aufraffen
können. War sie dann endlich wach, hatte sie einen solchen Kater, daß Clara,
die so etwas gut von ihrem Vater kannte, ihr möglichst aus dem Wege ging.
Das beste war, Aspirin zu
finden, einen starken Kaffee zu machen und ihn hinauf in Mrs. Cox’ Schlafzimmer zu bringen. Das Hotel war alt, und die wenigen Schlafräume
lagen alle im zweiten Stock. Clara machte den Kaffee, legte das Aspirin aufs
Tablett und trug es vorsichtig die Treppe hinauf.
Vidas Zimmer war am Ende des
schmalen Ganges, und Clara setzte das Tablett auf einem kleinen Tisch ab, ehe
sie klopfte. Niemand antwortete, und sie pochte lauter und seufzte bei dem
Gedanken, daß der Kater heute wohl besonders schlimm sein mußte. Nichts rührte
sich. Nun, dabei durfte sie es nicht belassen. Wenn die Bar einmal geöffnet
war, wurde die Besitzerin nötig gebraucht. Sie drückte auf die Klinke und sagte
leise: » Mrs. Cox!«
Die Tür war nicht verschlossen,
aber sie ließ sich nur einen Spalt weit öffnen. Etwas drückte auf der anderen
Seite dagegen, etwas Weiches; Clara merkte deutlich, wie die Tür dagegenstieß . Vida, die sehr unordentlich war, mußte irgend etwas vor die Tür gelegt haben, vielleicht ein
großes Kissen, als sie in der Nacht betrunken in ihr Bett gestolpert war. Clara
wurde unruhig. Wie sollte sie in das Zimmer kommen, um sie aufzuwecken?
Ein schmaler Notausgang lief
rund um die oberen Räume und führte unter Vidas Fenster vorbei. Das beste war,
hinauszuklettern und durchs Fenster hereinzukommen. Clara zögerte. Sie war ein
vernünftiges Mädchen, aber sie kletterte nicht gern irgendwo hoch, und zudem
war das Geländer an der Feuerleiter sehr wackelig. Sie schaute aus dem
Schlafzimmerfenster neben Vidas Zimmer. Wenn doch nur jemand käme, der ihr
helfen könnte!
In dem Moment sah sie Jerry
Sutherland die Straße entlangkommen. Er schwang seine Schulmappe und pfiff
laut. Die Schule lag gerade um die Ecke, zum ewigen Kummer von Jerry, der
deshalb zu Fuß zur Schule gehen mußte. Denn seine Mutter fand, es wäre
lächerlich, für die paar Schritte das Pferd zu satteln; und für den Schulbus
wohnte er viel zu nahe.
Jerry hielt das für reine
Schikane. Die Jungen, die mit dem Bus kamen, hatten immer soviel Spaß! Einmal hatte er sich ein Vergnügen daraus gemacht, das Wagenschild
»Schulbus« mit dem auf der anderen Seite zu vertauschen, auf dem der Name der
benachbarten Stadtgemeinde stand. Das hatte den Erfolg, daß der Bus auf seiner
Zwölfmeilenfahrt neunmal halten mußte, weil Leute, die mitfahren wollten, ihn
durch Zuruf anhielten. Das war wirklich ein toller Streich gewesen; allerdings
fand Jerry es absolut nicht lustig, als Mr. Spears eine Riesengeschichte daraus
machte und ihn zu einer empfindlichen Strafe verdonnerte. Danach hatte er sich
dafür entschieden, eine überlegene Haltung einzunehmen und sowohl den Bus wie
auch die Jungen, die mit ihm fuhren, einfach zu verachten.
Er hatte offenbar noch viel
Zeit. Clara kannte Jerry gut und mochte ihn, wie die meisten Leute im Dorf,
trotz seiner Neckereien und Streiche. Jetzt rief sie ihm aus dem oberen Fenster
zu: »Jerry, Jerry, komm doch mal einen Augenblick herein!«
Jerry war entzückt. Bis jetzt
war es ihm noch nie gelungen, in das Brückenhotel einzudringen, das er für eine
Höhle des Lasters und für den Schauplatz atemberaubender Abenteuer hielt. Er
huschte durch die Tür und schaute sich sehr enttäuscht in der verlassenen Bar
um, mit den Bierlachen und den Zigarettenstummeln auf den Tischen, die Vida in
der
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