Das Rätsel der Hibiskus-Brosche
hatte? Ende! Vor diesem Wort, diesem Gedanken schreckte die Mutter zurück.
Noch konnte man hoffen und glauben und vertrauen. Sie würden sie finden! Die
Polizei gab nicht auf. Menschen verschwanden nicht einfach, konnten nicht
einfach verschwinden.
Aber während sie sich das
sagte, mußte sie an andere unaufgeklärte Fälle denken, wo ebenfalls Menschen
spurlos verschwunden waren. Aber nein, verbesserte sie sich schnell. An einem
so friedlichen Ort auf dem Lande, wo jeder jeden kannte, wo ihre Beth so beliebt
war und wo die Leute nett und freundlich waren... Und doch: ein Mord war
geschehen. Es war ein furchtbarer Gedanke. Um sich abzulenken, beschäftigte
sich Mrs. Sutherland unablässig in ihrem Haushalt.
Sie versuchte, sich durch körperliche Erschöpfung zu betäuben, so daß ihr Geist
schließlich gezwungen würde, etwas auszuruhen.
Sie war gerade dabei, ihren
Wäscheschrank gründlich aufzuräumen, als am zweiten Tag nach der Jagd morgens
um zehn Uhr leise an ihrer Haustür geklopft wurde. Alice seufzte. Immerzu war irgend jemand an der Tür, jemand, der seine Hilfe anbot,
jemand, der einfach kam, um ihr zu sagen, wie traurig sie wären, wie
zuversichtlich, oder auch daß alles noch gut werden würde. Alice begegnete all
diesen Menschen mit ruhiger Dankbarkeit. Dabei zeigte sie so wenig Erregung,
daß, wer sie nicht gut kannte, sie für kühl, ja für gefühllos hätte halten
können.
Diesmal war es ein Unbekannter,
ein großer, gutaussehender junger Mann mit glattem, blondem Haar und einem
freundlichen Lächeln. Er sagte: » Mrs. Sutherland?
Könnte ich wohl Beth sprechen?«
»Beth? Aber haben Sie nicht
gehört?« Ihre Stimme schwankte, doch sie sah ihn freundlich an. Wie war es
möglich, daß er nichts gehört hatte? Der Rundfunk, der Mann auf der Straße,
alle waren betroffen von der Affäre um »das verschwundene Mädchen«. Sie
erwiderte: »Beth ist nicht hier. Es ist etwas mit ihr passiert — wir wissen
allerdings nicht was.«
Er fuhr bestürzt zurück. »Es
ist Beth etwas passiert? Was denn um Gottes willen?«
»Wollen Sie nicht hereinkommen
und sich setzen? Sie sind...?«
»Ich bin Bruce Ellis. Ich habe
Beth in Honolulu kennengelernt. Wir sind zusammen ausgegangen. Sie gab mir ihre
Adresse. Wir — wir waren gute Freunde.«
»Ja, ich weiß. Beth hat mir
davon erzählt. Sie haben mitgeholfen, ihre Ferien richtig schön zu gestalten.«
Ihre Stimme zitterte, und Bruce
sagte rasch: » Mrs. Sutherland, bitte erzählen Sie
mir, was passiert ist.«
Sie berichtete ihm in wenigen
Sätzen, was vorgefallen war. Sie redete ruhig und beherrscht, aber der junge
Mann konnte die verzweifelte Angst heraushören, die hinter ihren Worten stand.
»Ich muß helfen! Ich muß es!«
erklärte er. »Beth ist so ein... ein großartiges Mädchen! Wo, sagten Sie, hält
sich der Inspektor auf? Wo ist der Mann, den man fragen kann?«
In diesem Augenblick hörte man
Schritte auf der Veranda, und Bill Reynolds erschien. Neuerdings hatte er sich
angewöhnt, ohne anzuklopfen in die Küche zu kommen, was ein deutliches Zeichen
für seine Geistesverfassung war. Bill war nämlich immer sehr für gute Umgangsformen
gewesen, und obwohl der Haushalt der Sutherlands seit vielen Jahren für ihn ein
zweites Zuhause war, hatte er sich immer streng an die Konvention gehalten.
Aber jetzt war das alles vergessen. Alles war weggeschwemmt von dieser
quälenden Angst, die ihn weder ruhen noch wirklich vernünftig denken ließ.
Er fragte: »Nichts Neues?« und
stockte, als er den Fremden erblickte.
Alice schüttelte den Kopf.
»Nichts, Bill. Das ist Bruce Ellis. Du erinnerst dich doch? Mit dem Beth in
Honolulu Freundschaft geschlossen hat.«
Bill erinnerte sich nur zu gut.
Er erinnerte sich an die blöde Eifersucht, die ihn veranlaßt hatte, während des
Tanzes mit Beth herumzunörgeln, dem letzten Tanz, den sie zusammen getanzt
hatten; er erinnerte sich auch an die Brosche, die Bruce ihr gegeben und die
Vida Cox triumphierend davongetragen hatte, und fragte sich, was wohl damit
geschehen war.
Der Fremde streckte seine Hand
aus, und die Blicke der beiden Männer begegneten sich. Jeder fand, was er sah,
sympathisch. Bill dachte: Der Bursche sieht anständig aus. Das ist kein
Weiberheld, sondern ein ordentlicher, freundlicher Junge.
Bruce dachte: Das ist also der
Bill Reynolds, den sie so oft erwähnt hat. Armer Teufel, es hat ihn bös
getroffen.
Er war es auch, der die ersten
Worte fand, wenngleich stockend und mit großer Mühe. Denn
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