Das Raetsel der Liebe
klaren Kopf. »Haben wir das nicht schon tausendmal besprochen?«, fragte sie nüchtern. »Es hat sich nichts geändert.«
»Und warum hast du dann deine kleine Armee von Genies zu dieser Versammlung geschleppt?«
Sie starrte ihn verblüfft an und schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. »Weil ich wusste, dass sie mir helfen konnten zu beweisen, dass du …«
»Nein. Warum hast du sie mitgebracht? Warum wolltest du mich von allen Anschuldigungen freigesprochen sehen?«
»Ich wollte nicht, dass man dir die Schuld an etwas gibt, das nicht dein Fehler war«, erwiderte sie. »Ich weiß, wie hart du gearbeitet hast. Du verdienst es nicht, dass das alles jetzt beiseitegewischt wird, weil du versucht hast, Jane und mich zu schützen.«
»Also hattest du das Gefühl, mir etwas schuldig zu sein?«
»Na ja, irgendwie schon, aber …«
»Und die anderen Gründe, Lydia?«
Sie stieß einen gereizten Seufzer aus und starrte über seine Schulter hinweg auf die gegenüberliegende Wand. Was spielte es denn schon für eine Rolle, wenn er die Wahrheit erfuhr? Es änderte gar nichts. Warum sollte sie ihm nicht gestatten, zumindest die Erinnerung daran mitzunehmen, was sie beide einander bedeuteten, selbst wenn sie niemals eine gemeinsame Zukunft haben konnten?
Vor allem,
wenn sie niemals eine gemeinsame Zukunft haben konnten.
»Lydia.«
»Na gut«, sagte sie brüsk und sah ihn wieder an. »Ich liebe dich immer noch, Alexander. Ich wollte dir helfen, weil ich dich immer noch liebe und weil ich den Gedanken nicht ertragen konnte, dass diese Männer dich vor einem riesigen Publikum kleinmachen und niemand da ist, der etwas zu deiner Verteidigung vorbringt. So, jetzt habe ich es gesagt. Reicht das? Ist es das, was du hören wolltest?«
»Absolut und definitiv.«
Er schenkte ihr ein herrliches Lächeln, und seine Freude übergoss sie mit derart glühender Liebe, dass ihr der Atem stockte. In seinen Augen glänzte Hoffnung und überstrahlte die Sonne. Um sie nicht stürmisch an sich zu reißen, ergriff er ihre Hände.
Lydia erwiderte die Berührung. Wie wunderbar es sich anfühlte, als sich ihre Finger ineinander verschränkten! Und doch gelang es ihr nicht, die Schleier der Traurigkeit zu vertreiben, die ihre Freude trübten.
»Und es spielt trotzdem keine Rolle, Alexander. Auch wenn ich dich liebe, von ganzem Herzen, aus tiefster Seele … es ändert nichts.«
»Heirate mich.«
Sie umklammerte seine Hände und flehte Gott um Stärke an, der Schönheit dieser beiden einfachen Worte zu widerstehen und allem, was sie bedeuteten.
»Hör bitte auf«, wisperte sie. »Wenn du weglaufen willst –«
»Ich laufe nicht weg«, sagte Alexander eindringlich. »Ich laufe zu etwas hin, und ich will dich und Jane bei mir haben, wenn ich ankomme. Siehst du das denn nicht? Es ist die Lösung unseres Dilemmas.«
In ihren Augen blitzte Skepsis auf. »In ein fremdes Land zu gehen?«
»Nein. Nach Hause.« Er schluckte mehrmals schwer, und in die markanten Linien seines Profils mischte sich nervöses Zucken. »Erinnerst du dich noch an die Nacht, in der du mir sagtest, es gäbe immer eine Wahl? Du hattest recht. Ich habe viel zu lange zugelassen, dass die Entscheidungen, Umstände und Bedürfnisse anderer Menschen mein Leben bestimmen. Das ist jetzt vorbei. Ich werde jetzt die Entscheidungen treffen, die ich treffen möchte. Und ich wähle dich.«
»Ich kann nicht –«
»Du kannst«, beharrte er. »Es
wird
funktionieren, Lydia. Ich verspreche es dir. Teile mein Leben mit mir. Bitte.«
Sie hörte ihr Blut in den Ohren rauschen. Endlich wurde ihr klar, warum er zu dieser Entscheidung gekommen war: In Sankt Petersburg würden sie unter Menschen leben können, die nicht das Geringste über ihre Vergangenheit wussten. Der Ruf ihrer beider Familien würde nicht weiter leiden. Sie könnten dort in Freiheit leben. In Hoffnung. Freude.
Oh Gott. Ihre Gedanken rasten, drehten alle Argumente um und um, wogen die Risiken ab, schoben die Zweifel beiseite. Es stimmte. Er hatte recht – sie könnten London zusammen verlassen und ein neues Leben beginnen in der Stadt, die Alexander liebte, einer Stadt mit weißen Nächten, dem Bimmeln von Troika-Glöckchen und kostbaren Erinnerungen. Einem Ort, der nur ihnen allein gehören würde, an dem sie ihr eigenes Leben leben konnten.
War das möglich? War das Glück wirklich in Reichweite? Konnte sie ihm, konnte sie
sich selbst
genügend trauen, um das Ruder ihres Schicksals so entschieden
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