Das Raetsel der Liebe
Street. Gehörten alle reichen Leuten. Er würde bald herausfinden, wer in Nummer zwölf wohnte.
4
Alexander gab Anweisung, Tee in den Salon zu bringen. Dann musterte er Lydia, die sich erschöpft auf das Sofa niederließ. Als sie die Hände hob, um ihre zerzausten Haare zu ordnen, die im Nacken nur locker von einem Band zusammengehalten wurden, bemerkte er, dass sie zitterten. Ihre sonst so makellose Haut verunzierten rote Flecken, die Augen waren verquollen. Sie starrte zu Boden, und ihr Brustkorb hob und senkte sich gequält mit jedem Atemzug.
Alexander wurde überschwemmt von einer Woge der Leidenschaft und dem Drang, sie zu beschützen. Die Hände fest um das blank polierte Holz der Lehne gelegt, stand er hinter einem Stuhl.
Am liebsten hätte er Lydia an sich gerissen, um zu spüren, dass sie sich an ihn lehnte, und um aus der Welt zu schaffen, was immer ihr solchen Kummer bereitete. Diese Erkenntnis und die Intensität des Gefühls beunruhigten ihn. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar, unfähig, den Blick von ihr zu wenden.
»Miss Kellaway.« Er zwang sich, ruhig zu sprechen. Er musste um jeden Preis wissen, was vorgefallen war, doch er wollte sie nicht verschrecken. »Hat Ihnen jemand ein Leid zugefügt?«
Sie lachte. Es war ein tonloses, heiseres Geräusch. »Nicht so, wie Sie denken.«
»Sie können mir die Wahrheit sagen.«
»Das ist die Wahrheit.«
»Sind Sie sicher?«
»Ja.« Sie nickte. Ihre Finger krampften sich fortwährend in den Stoff ihres Rocks, zogen und zerrten an den Falten. »Ich bin nicht … Es ist nicht das, was Sie vielleicht vermuten.«
»Was ist es dann?«
»Eine persönliche Angelegenheit, ein … es spielt keine Rolle.«
»Für mich schon.«
»So? Tut es das?« Sie hob den Kopf, das Blau ihrer Augen verdunkelt von Ärger und Frustration. »Wollen Sie nicht, dass ich meine Schuld begleiche? Denn deshalb bin ich hier. Nehmen Sie sich, was Ihnen zusteht. Küssen Sie mich.«
Alexander schüttelte den Kopf. »Nicht auf die Art.«
»Ihre Forderung war nicht an eine Bedingung geknüpft.«
»Jetzt ist sie es.«
Ein Klopfen an der Tür. Der Diener trat ein, in den Händen ein Tablett mit Tee. Alexander nickte dankend und entließ ihn. Nachdem die Tür sich geschlossen hatte, schenkte er zwei Tassen Tee ein, gab in eine davon etwas Zucker und drückte sie Lydia in die Hand.
»Was für eine Bedingung?«, fragte sie.
»Ich werde Sie auf gar keinen Fall küssen, wenn Sie so offensichtlich in Nöten sind. Abgesehen von der Tatsache, dass ein solches Vorgehen die völlig falsche Wirkung haben dürfte. Der Kuss würde Ihren Kummer nur noch größer machen und … nun, ich glaube nicht, dass mein Stolz einen solchen Schlag verkraften könnte.«
Der Hauch eines Lächelns umspielte ihre Lippen. »Ihr Stolz scheint recht gut in der Lage zu sein, noch weit Schlimmeres zu verkraften, Mylord.«
»Mag sein. Trotzdem verspüre ich keinerlei Neigung, es herauszufinden.«
Mit gerunzelter Stirn sah er zu, wie sie von ihrem Tee trank. Ihre Lippen berührten das dünne Porzellan des Tassenrandes, ihr Kehlkopf bewegte sich, als sie schluckte.
Alexander wartete einige weitere, schier endlos scheinende Minuten, um ihr die Möglichkeit zu geben, ihre Fassung wiederzugewinnen. Dann fragte er noch einmal: »Was ist passiert?«
Das Blau ihrer Augen verfinsterte sich zu einem dunklen Lapislazuli, und sie schüttelte den Kopf. Als sie sprach, war ihre Stimme schwer von Kummer.
»Ich fühle mich manchmal so … so schrecklich machtlos.«
Alexander hatte nicht die leiseste Ahnung, wie er auf diese einfache Feststellung reagieren sollte. Einerseits ergab sie, verkündet von einer Frau mit einem derart brillanten, scharfsinnigen Geist, keinen Sinn. Andererseits verbrachte ebendiese Frau ihre Zeit damit, Gleichungen über die Liebe aufzustellen, was, wie Alexander klar war, nirgendwohin führen würde.
Stille breitete sich aus, waberte zwischen ihnen wie ein lebendes Wesen.
Schließlich räusperte er sich. Einen Moment lang wünschte er, Sebastian wäre hier. Sebastian würde etwas zu erwidern wissen. Sein Bruder besaß die Gabe, jeder Frau das Gefühl zu geben, sicher und beschützt zu sein. Sie verließen sich auf ihn, vertrauten ihm. Alexander hingegen stand in dem Ruf, ein unnahbarer Einzelgänger zu sein, was zum Teil durchaus auf Tatsachen beruhte, vor allem nach der Katastrophe seiner geplatzten Verlobung.
Lydia verzog den Mund und stellte die Tasse zurück auf den Unterteller. »Aber das
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