Das Rätsel
Zentimeter ein. Wieder ließ sie ein paar Flüche vom Stapel. Dann stemmte sie die Schulter gegen den Bug, holte einmal tief Luft und schob. Sie stöhnte vor Anstrengung.
Das Skiff rührte sich nicht.
»Ach, komm schon«, bat sie.
Erneut drückte sie die Schulter gegen den Bug; diesmal stemmte sie das Boot ein wenig nach oben und versuchte, es zu schaukeln. Ihr standen die Schweißperlen auf der Stirn. Sie ächzte und spannte die Rückenmuskeln wie Drahtseile an, und das Skiff ratschte ein kleines Stück nach hinten.
»Schon besser«, fand sie.
Sie holte Luft, legte sich mit aller Kraft gegen das Skiff und schob erneut. Das Boot schabte wieder zehn bis zwanzig Zentimeter dem tieferen Wasser entgegen.
»Du machst Fortschritte, verdammt«, stöhnte sie. Ein letzter Versuch, und es wäre frei.
Sie wusste nicht, wie viel Kraft sie noch hatte, war aber entschlossen,alle Reserven auszuschöpfen. Ihre Schulter wies an der Stelle, mit der sie geschoben hatte, tiefe Rillen auf. Ein letzter Druck, ein spitzer Schrei, und das Skiff schwamm frei. Susan stolperte, verlor das Gleichgewicht und schnappte nach Luft, als sie vorwärtstaumelte, während das Skiff von ihr wegtrieb. Salzwasser spritzte ihr ins Gesicht, und sie plumpste auf die Knie. Das Boot sauste von ihr weg wie ein Welpe, der nicht gehorchen will. Es schaukelte keine drei, vier Meter entfernt auf der Oberfläche.
»Verdammt noch mal«, fluchte sie, auch wenn sie überglücklich war, es befreit zu haben. Sie stand auf, wischte sich die See ebenso aus dem Gesicht wie von den Händen und zog mit einem Ruck die Füße aus dem Schlick, um hinter dem Boot herzuwaten.
Doch wo sie mit weichem Boden gerechnet hatte, war nichts. Susan taumelte wieder nach vorn und platschte ins schwarze Wasser. Sie wusste augenblicklich, dass sie die Fahrrinne gefunden hatte, und drehte den Kopf, um über der endlosen schwarzen Flüssigkeit Atem zu bekommen. Mit den Zehen suchte sie nach Halt, fand jedoch nichts. Das dunkle Wasser schien sie aufzusaugen. Sie atmete heftig aus, um gegen die Panikattacke anzukämpfen.
Das Skiff wiegte sich kaum drei Meter von ihr entfernt auf leichten Wellenkräuseln.
Sie verdrängte den Gedanken, in was für einer Situation sie sich tatsächlich befand: dass sie im Dunkeln Wasser trat, während eine leichte Strömung die sichere Zuflucht ihres Bootes von ihr wegtrieb. Sie versuchte einen klaren Kopf zu bewahren, atmete einmal tief die seidige Nachtluft ein und machte ein paar kräftige Kraulzüge durchs Wasser, während sie mit den Füßen paddelte und kleine, leuchtend weiße Fontänen in die Dunkelheit spritzte. Das Skiff trieb zum Greifen nahe vorihr her. Sie schwamm mit aller Macht an dessen Seite, streckte die Hand danach aus und packte das Dollbord mit beiden Armen.
Einen Moment lang hing sie dort und presste die Wange gegen das glatte Fiberglas des Bootes, wie eine Mutter das Gesicht eines verirrten Kindes an sich drückt. Ihre Füße baumelten im Wasser, als wären sie kein Teil mehr von ihr. Erst in diesem Moment wurde ihr bewusst, wie erschöpft sie war. Eine Weile rührte sie sich nicht und ruhte sich aus. Dann nahm sie ihre restlichen Kräfte zusammen und stemmte sich hoch, schwang ein Bein über die Seite und versuchte, mit dem Bauch auf dem Dollbord Halt zu finden. Eine Sekunde hing sie in der Schwebe, dann packte sie fester zu, trat mit dem Bein, das immer noch im Wasser hing, einmal kräftig zu und purzelte ins Boot.
Susan lag da und starrte in den Himmel, während sie nach Atem rang.
Sie fühlte, wie ihr das Adrenalin in den Schläfen pulsierte und wie ihr Herz in der Brust hämmerte. Sie überkam eine Erschöpfung, die um einiges größer war, als es dem Energieaufwand entsprochen hätte – eine Erschöpfung, die mehr mit Furcht als mit Müdigkeit zu erklären war.
Die Sterne über ihr schimmerten gütig. Sie betrachtete sie und sagte laut: »Steig nie, nie, nie bei Nacht aus dem Boot. Verlier nie den Kontakt. Hab es immer im Griff. Sieh zu, dass dir so was nie wieder passiert.«
Sie rappelte sich hoch und lehnte sich im Sitzen mit dem Rücken an die Bootswand. Ihr Atem beruhigte sich, und sie war wenig später auf den Füßen. »Na schön«, sagte sie laut. »Auf ein Neues. Finde die Rinne statt des Sands. Langsame Fahrt voraus.«
Ihr war zum Lachen zumute, doch sie erkannte, dass sie dieFahrrinne noch nicht ganz hinter sich hatte. »Immer noch nicht aus den Mangroven raus«, stellte sie fest.
Als sie hinter der
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