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Das Rätsel

Titel: Das Rätsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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sie angefertigt hatte. Susan erklärte nicht, wieso sie so spät mit dem Essen kam. Für eine Stunde gelang es ihnen beiden, so zu tun, als sei alles beim Alten – eine willkommene Illusion.
    Nachdem das Geschirr abgewaschen und weggeräumt war, zog sich Diana in ihr eigenes Zimmer zurück und Susan in das ihre, wo sie den Computer einschaltete und sich erneut an die frustrierende Arbeit machte, für den Mann, von dem sie sich beobachtet fühlte, ein Rätsel zu erfinden. Bei diesem Gedanken verzog sie das Gesicht zu einem süßsäuerlichen Grinsen: Es war schon absurd, dass der Mann ohne weiteres da draußen vor ihrer Tür sein konnte oder unter ihrem Fenster, vielleicht auch im dunklen Schatten einer der Palmen, die im Garten Wache hielten – vielleicht war er nahe genug, um mit der Hand nach ihr zu greifen –, und sie verständigte sich trotzdem über raffinierte Wort- und Buchstabenspiele mit ihm. Ihr kam eine Idee, und sie ließ ihren Computer ein Kästchen zeichnen. In dieses Kästchen schrieb sie:
    Are you the man who saved me? – Waren Sie mein Retter?
What is it that you want? – Was wollen Sie?
I want to be left alone. – Ich will, dass Sie mich in Ruhe lassen.
    Sie starrte auf die Nachricht und stellte fest, dass es sich dabei um zwei Fragen und eine Feststellung handelte. Sie trennte die beiden Elemente auf:
    Are you the man who saved me?
What is it that you want?
    Und
    I want to be left alone.
    Das erste Paar konnte man vermischen und verschlüsseln:
    Theme where a navy do amuse? – Thema, wo eine Marine sich amüsiert?
Why is tit a tat, now a tut? – Wieso ist Tit-a-tat jetzt ein Tut?
    Das gefiel ihr schon mal. Susan ging zum letzten Satz ihrer Botschaft über. Ihr kam ein Gedanke. Sie schmunzelte über ihre eigene Cleverness und flüsterte sich zu: »Du hast es noch nicht verlernt, Mata Hari.«
    Sie schrieb:
    On the bull’s ancient island you make a mistake that makes you gag,
and reminds you of the most famous thing she ever said.
    Auf der uralten Insel des Bullen machst du einen Fehler,
so dass du würgen musstest,
und er erinnert dich an ihren berühmtesten Ausspruch.
    Sie war zufrieden. Sie schickte die Seite elektronisch an ihren Computer im Büro und stellte fest, dass es knapp eine Stunde vor Redaktionsschluss war und vermutlich nur Minuten, bevor ein gehetzter Redakteur sich am Rande der Panik bei ihr gemeldet hätte. Dann fuhr sie ihren eigenen Computer herunter und ging beruhigt zu Bett. Sie schlief augenblicklich ein und wurde, zum ersten Mal seit Tagen, nicht von Träumen geplagt.
     
    Susan erwachte wenige Sekunden bevor ihr Wecker klingelte. Sie machte ihn aus, bevor er losscheppern konnte, stand auf und trat zügig unter die Dusche. Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, zog sie sich in Windeseile an, um so schnell wie möglich ins Büro zu kommen, die Korrekturfahnen für das wöchentliche Preisausschreiben durchzuarbeiten und dann zu sehen, was sonst noch anstand. Sie ging auf Zehenspitzen durch den Flur zum Zimmer ihrer Mutter, öffnete leise die Tür und spähte um die Ecke. Diana schlief noch; gutes Zeichen, denn die Ruhe half ihr, sich ein wenig zu erholen. Die Tatsache, dass die Schmerzen sie um einen gesunden tiefen Schlaf brachten, war
ein
Grund, weshalb ihre Mutter so geschwächt war und weshalb zu allen anderen Qualen noch die Erschöpfung kam.
    Susan sah auf dem Nachttisch die Pillenfläschchen, die für die letzte Lebensspanne ihrer Mutter ein ständiger Begleiter waren. Leise ging sie hinüber und sammelte die Medikamente ein, um sie in die Küche mitzunehmen.
    Sie sah sich die Etiketten genau an, entnahm jeweils die korrekte morgendliche Dosis und reihte sie wie Soldaten beim Frühappell auf einem leeren weißen Teller auf. Der Tag begann mit einem halben Dutzend Pillen – einer roten, einer beigen, zwei weißen; zwei unterschiedlich zweifarbigen Kapseln.Einige waren klein, andere groß. Sie standen Gewehr bei Fuß.
    Susan ging zum Kühlschrank, holte frisch gepressten Orangensaft heraus, goss ihn in ein Glas und hoffte, ihre Mutter würde nicht die Hälfte trinken und dann mit Wodka auffüllen. Sie stellte das Glas neben die Pillen. Dann fand sie eine Wasser- und eine Honigmelone, schnitt sie sorgfältig auf und arrangierte die halbmondförmigen Scheiben einladend auf einem zweiten Teller. Zuletzt nahm sie ein Blatt Papier und schrieb die banale Nachricht:
    Bin froh, dass du ein bisschen Schlaf bekommen hast. Bin schon zur Arbeit. Hier ist etwas fürs Frühstück

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