Das Rätsel
der Nacht zu sein. Wieder hörte er die Stimme hinter sich: »Nimm die Hände auf den Kopf.«
Er folgte dem Befehl.
»Gut«, lobte die Stimme. Dann ein wenig lauter: »Ich hab ihn.«
Eine zweite, tiefere Stimme kam aus dem angrenzenden Zimmer.
»Ausgezeichnet. Nimm die Brille ab.«
Wie bei einer Explosion war das Haus im Bruchteil einer Sekunde grell erleuchtet, so dass es Jeffrey in die Augen stach wie ein Hitzeschwall aus einem Ofen, der dicht vor seinem Gesicht geöffnet wurde. Jeffrey blinzelte heftig, als ihn eine Flut an Eindrücken bestürmte: Mobiliar, Kunst und andere Einrichtungsgegenstände sowie Teppiche. Die weißen Wände des Hauses schienen zu gleißen. Er fühlte sich benommen, als hätte ihn ein Schlag getroffen. Eine Sekunde lang kniff er die Lider zu, als bereitete ihm das Licht physisch Schmerzen. Als er sie öffnete, starrte er in Augen, die ihm einen Moment lang wie seine eigenen erschienen, als blickte er in einen Spiegel. Er schnappte heftig nach Luft.
»Hallo, Jeffrey«, begrüßte ihn sein Vater ruhig. »Wir warten schon den ganzen Abend auf dich.«
24. KAPITEL
Der letzte freie Mann
Als im Haus die Lichter angingen, verschlug es Diana Clayton den Atem, und Susan brachte nur ein kurzes »Gott!« heraus, als sei vor ihnen in der Dunkelheit ein Feuer ausgebrochen.
Beide Frauen wichen von der erleuchteten Rasenfläche zurück, um nicht genau an der Stelle, an der vor wenigen Minuten Jeffrey gezögert hatte, gesehen zu werden. Susan ließ langsam das Nachtsichtgerät sinken und warf es zu Boden. »Das bringt nichts mehr«, murmelte sie.
Diana kroch zu der Stelle und hängte sich das Fernglas um. Die beiden Frauen lagen zwischen wildem Gestrüpp bäuchlings auf dem modrig feuchten Boden, der nach faulenden Blättern roch. Das Haus in der Mitte der Lichtung strahlte weiter in einer gespenstischen Helligkeit, als verspottete es die Nacht.
»Was ist da los?«, flüsterte die ältere Frau.
Susan schüttelte den Kopf. »Entweder hat Jeffrey drinnen irgendeinen Alarm ausgelöst, bei dem automatisch jede Lampe im Haus angeht, oder aber sie haben alles angeschaltet und Jeffrey erwischt. So oder so ist er drinnen, und wir haben noch keine Schüsse gehört, ich vermute also, dass die Sache funktioniert …«
»Dann müssen wir zusehen, dass wir hinters Haus kommen«, meinte Diana.
Susan nickte. »Lauf möglichst gebückt. Und so leise, wie du kannst. Los geht’s.«
Sie bewegte sich zügig durch das dichte Unterholz der Bäume und das Gestrüpp und nutzte das gedämpfte Licht, das vom Haus her durch die Äste sickerte. Einen Moment lang kam es Susan unheimlich vor, dass die Lampen vom Haus den Mond überstrahlten. Es gab ihr das Gefühl, als seien sie nicht mehr allein, sondern ständig in Gefahr, entdeckt zu werden. Sie bewegte sich, vornübergebeugt, geschickt und schnell, indem sie wie ein nachtaktives Tier, das vor dem Morgengrauen flüchtet, von einem Baum zum nächsten huschte, um nicht gesehen zu werden. Hinter ihr kämpfte sich ihre Mutter durch das Unterholz, indem sie Zweige und Büsche zur Seite bog und gelegentlich einen Kraftausdruck vom Stapel ließ, wenn sie mit den Kleidern an Dornen hängen blieb oder ein Zweig zurückschnellte und sie im Gesicht traf. Susan drosselte ihr Tempo aus Rücksicht auf ihre Mutter, wenn auch nur ein wenig, denn sie wusste nicht, ob ihnen viel Zeit blieb oder keine; ihr Instinkt hämmerte ihr ein, sich zu beeilen, wenn auch nicht zu hetzen, ein heikler Unterschied, dachte sie, wenn das Leben von Menschen auf dem Spiel steht.
Sie blieb einen Moment mit dem Rücken an einen Baum gelehnt stehen, allerdings nicht vor Erschöpfung. Während sie wartete, bis Diana sie eingeholt hatte, bemerkte sie nicht weit von ihr eine beinahe unsichtbare Infrarotkamera, kaum fünfzehn Zentimeter lang, wie ein winziges Teleskop. Doch sie nahm es als ein böses Zeichen und wusste, dass sie aus triftigen Gründen dort hing. Dass sie sie entdeckt hatte, war reines Glück. Wahrscheinlich hatte sie auf ihrer Pirsch durch den Wald den Strahl von einem halben Dutzend anderer Vorrichtungen gekreuzt. Alle drei hatten sie damit gerechnet. Es war Aufgabe ihres Bruders, die Menschen im Haus beschäftigtzu halten, so dass sie die zweite Angriffswelle überraschend traf.
Diana sackte neben ihr an einen Stamm, und Susan zeigte auf die Kamera.
»Meinst du, sie haben uns gesehen?«, fragte Diana.
»Nein, ich glaube, sie interessieren sich mehr für Jeffrey.« Was sie
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