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Das Rätsel

Titel: Das Rätsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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gestolpert ist. Dass sie den Polizisten vor ihrem Liebhaber rettete, hat ihr möglicherweise den Galgen erspart. Also, vielleicht, vielleicht. Vielleicht beschließt auch unsere Caril Ann bei unserer Ankunft, sich in Sicherheit zu bringen …«
    Er sah seine Mutter eindringlich an.
    »… aber verlass dich nicht darauf.« Sein Ton war so kalt wie die Nachtluft.
    »Und Geoffrey?«, beharrte Diana. »Dein Namensvetter? Er ist noch ein Teenager. Was wissen wir schon über ihn?«
    »Wirklich wissen? Nichts. Jedenfalls nicht sicher. Ich hoffe tatsächlich, er ist heute nicht hier. Drei gegen zwei ist günstiger. Drei gegen drei könnte schwierig werden. Jedenfalls vermute ich, er ist wohl nicht hier, ich glaube, die Passkontrolle ist in diesem Staat ziemlich zuverlässig.«
    »Aber …«, fing Susan an. Sie machte eine Pause, bevor sie die Frage aussprach. »Und wenn nun doch? Ist er gefährlich? Ist er wie
er
, oder ist er wie
wir?
«
    »Na ja«, antwortete Jeffrey, »den Unterschied werden wir alle heute Nacht kennenlernen, nicht wahr?«
    Er wartete die Antwort seiner Schwester nicht ab, sondern fügte hinzu: »Sieh mal, es ist ein langer Prozess. Es wächst allmählich. Es muss kultiviert werden. Es ist wie ein wissenschaftliches Experiment, das Jahre braucht, um Früchte zu tragen. Wenn du jeweils zum entscheidenden Zeitpunkt die entsprechenden Eindrücke vermittelst – Grausamkeit, Folter, Perversion, Erniedrigung –, dann gibt es, während das Kind größer wird, bleibende Verwachsungen und Bösartigkeit. Mutter hat uns genau in dem Moment da rausgeholt, als es anfing. Dieses Kind? Keine Ahnung. Er ist von Anfang an dabei. Hoffen wir einfach, dass er an der Uni ist.«
    »Klar doch, an der Uni, nur dass er nicht an der Uni ist, an der er sein sollte«, entgegnete Susan in sarkastischem Ton.
    »Nichts ist so, wie es sein sollte«, sagte Jeffrey. »Weder du, noch ich oder er oder dieser ganze Staat. Ich schätze, uns bleiben eine bis anderthalb Stunden, bis die Staatssicherheit eintrifft. Dann kommen sie mit Hubschraubern und SWAT-Einheiten, automatischen Waffen und Tränengas. Ihre Anweisung lautet, das Problem zu beseitigen. Es wäre klug, dann nicht mehr im Weg zu sein. Egal was wir tun, es muss in der nächsten Stunde passieren. Alles klar?«
    Mutter und Tochter nickten.
    Diana erinnerte sie an den anderen Grund ihres Kommens. »Was ist mit Kimberly Lewis? Nehmen wir an, sie ist am Leben, was dann?«
    »Falls wir können, retten wir sie. Aber wir müssen uns zuerst um unser eigenes Problem kümmern.«
    Das war für Diana verstörend. Susan schien es besser zu verstehen. Sie quittierte diese Anweisung ihres Bruders mit einem Achselzucken.
    »Wir tun, was wir können«, sagte sie.
    Jeffrey lächelte schwach, seiner Schwester die Hand auf die Schulter und drückte sie. Dann drehte er sich zu seiner Mutter um und nahm sie einmal kurz in die Arme – nicht demonstrativ, sondern wie eine bedeutungslose, routinemäßige Geste, als wäre dieser schwere Gang die normalste Sache der Welt.
    »Ich bilde die Vorhut«, erklärte er und versuchte, möglichst viel Ruhe und Entschlossenheit in seinen Ton zu legen. »Achtet darauf, dass ihr mir genügend Zeit gebt, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.«
    Damit kehrte Jeffrey ihnen den Rücken und machte sich, die Waffen wie zum Rapport bereit, im Laufschritt auf den Weg zum Haus.
     
    Seine Augen brauchten einige Zeit, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, doch nach einer Weile erkannte er die gewundene Einfahrt, auch wenn sie unter dem tunnelartigen dichten Blätterwerk der Bäume, die sich darüber wölbten, fast ebenso verschwand wie Mond und Sterne. Er horchte in die Nacht, auf das gelegentliche Rascheln von Zweigen, die sich in einer frischen Böe aneinanderrieben, und auf seinen eigenen keuchenden Atem. Er fühlte eine winterliche Trockenheit in seiner Kehle und im Widerspruch dazu verschwitzte Achselhöhlen wie an einem heißen Sommertag. Er rannte weiter und fühlte sich wie jemand, der seine eigene Gruft besichtigen soll.
    Er vermutete, dass er im Haus bereits einen Alarm ausgelöst hatte; die Sensoren würden auf Wärme und Volumen reagieren, so dass sie das gelegentliche Opossum oder den Waschbären,der durch die Wälder zog, ignorierten, dagegen einen Maultierhirsch, der sich zu nah ans Haus heranwagte, meldeten. Irgendwo in den Bäumen befanden sich die Nachtsichtkameras, die ihn verfolgten. Dennoch bewegte er sich vorsichtig und bedächtig, als fühlte er

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