Das Rätsel
vermutete, dass der Ausgang direkt dahinter lag. Sobald sich die schallgedämmten Türen in ihrem Rücken geschlossen hatten und den Lärm von der Bar dämpften, war es bedeutend leiser. Sie marschierte den Flur entlang und bog nach links ab. Der schmale Korridor setzte sich noch drei Meter fort und endete vor zwei Türen an gegenüberliegenden Wänden – für HERREN und für DAMEN. Der Ausgang befand sich dazwischen. Zu ihrem Schrecken sah sie noch zwei weitere Dinge: ein rotes Schild an der Tür nach draußen mit der Aufschrift: NOTAUSGANG – ACHTUNG ALARM und eine schwere, in der angrenzenden Wand verankerte Metallkette mit Vorhängeschloss, die um die Klinke gewunden war.
»Toller Notausgang«, flüsterte sie.
Sie zögerte einen Moment, machte einen Schritt zurück Richtung Bar und drehte sich in alle Richtungen, um sicherzugehen, dass sie alleine war, dann entschied sie sich für die Damentoilette. Der Raum war knapp bemessen und reichte nur für zwei Kabinen mit zwei Becken an der gegenüberliegenden Wand. Wenig passend befand sich nur ein einziger Spiegel zwischen den Waschgelegenheiten. Die Örtlichkeit war weder sauber noch gut ausgestattet. In dem grellen Neonlichthätte jede kränklich gewirkt, egal, wie viel Make-up sie auflegte. In einer Ecke befand sich ein roter Metallautomat für Kondome und Tampons. Ihr stieg der scharfe Geruch von zu viel Desinfektionsmitteln in die Nase. Sie seufzte, betrat eine der Kabinen und setzte sich resigniert auf die Toilette. Sie war gerade fertig und griff nach dem Spülhebel, als sie hörte, wie sich die Haupttür öffnete.
Sie hielt inne und horchte gespannt auf das Klicken von Stöckelschuhen auf dem verfleckten Linoleum, hörte jedoch stattdessen ein schlurfendes Geräusch und dann das Zuschlagen der Tür.
Und dann die Stimme des Mannes. »Schlampe«, knurrte er. »Komm raus.«
Sie drückte sich an die hintere Wand der Kabine. An der Tür befand sich ein kleiner Riegel, doch sie bezweifelte, dass er auch nur einem einzigen Tritt standhielt. Ohne zu antworten, griff sie in ihre Tasche und zog die Automatik heraus. Sie entsicherte, brachte die Waffe in Anschlag und wartete.
»Komm raus«, wiederholte der Mann. »Zwing mich nicht, dich zu holen.«
Sie wollte schon mit einer Drohung antworten, so etwas wie: »Hau ab, oder ich schieße«, besann sich jedoch. Sie musste alle Willenskraft zusammenreißen, um ihren rasenden Puls in den Griff zu bekommen, und sie sagte sich ruhig: Er weiß nicht, dass du bewaffnet bist. Wenn er klug wäre, wüsste er es, aber das ist er nicht. Er ist zwar nicht stockbetrunken, sondern nur so, dass er seine Aggressionen rauslässt und ein bisschen verblödet ist, aber wahrscheinlich verdient er es nicht einmal, zu sterben – allerdings war sie sich bei näherer Betrachtung dessen nicht so sicher.
»Lassen Sie mich in Ruhe«, sagte sie, und ihre Stimme zitterte nur ein wenig.
»Komm schon raus, Schlampe, ich hab ’ne Überraschung für dich.«
Sie hörte, wie er seinen Reißverschluss hoch- und runterzog. »Eine große Überraschung«, meinte er lachend.
Sie änderte ihre Meinung und legte den Finger fester um den Abzug. Ich bring ihn um, dachte sie.
»Ich bleibe hier drin. Wenn Sie nicht sofort verschwinden, schreie ich«, rief sie. Dabei hatte sie die Pistole unverwandt auf die Kabinentür gerichtet, genau geradeaus. Sie überlegte, ob eine Ladung das Metall durchschlagen und den Mann dahinter verwunden würde. Möglich, aber unwahrscheinlich. Sie stählte sich: Wenn er die Tür eintritt, sieh zu, dass du trotz Schock und Krach nicht danebentriffst. Halte die Arme ruhig und ziele tief. Schieß dreimal; heb dir vorsichtshalber ein paar Schuss auf. Schieß nicht daneben.
»Komm schon«, lockte der Mann. »Lass uns ein bisschen Spaß miteinander haben.«
»Hau ab«, erwiderte sie.
»Schlampe«, knurrte der Mann erneut und diesmal wieder im Flüsterton.
Die Kabinentür verbeulte sich, als er kräftig dagegentrat.
»Du glaubst, du bist sicher?«, fragte er. Er klopfte an die Tür wie ein Handelsvertreter. »Das Ding hält mich nicht ab.«
Sie antwortete nicht, und er klopfte wieder.
Er lachte. »Ich werde husten und pusten und dir dein Haus zusammenpusten, du kleines Schwein.«
Die Tür dröhnte unter dem zweiten Tritt. Sie zielte den Lauf entlang und hielt den Atem an. Sie staunte, dass die Tür gehalten hatte.
»Was meinst du, Schlampe? Aller guten Dinge sind drei.«
Sie zog mit dem Daumen den Hammer zurück und straffte
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