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Das Rätsel

Titel: Das Rätsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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emotional.
    Ein Wagen vor ihr bremste scharf, und sie trat mit aller Kraft auf die Bremse. Während das ABS pulsierte, saß ihr die Panik wie ein Kloß im Hals, und ohne dass sie das Wort Unfall auch nur dachte, kribbelte ihr ganzer Körper, und ihr wurde heiß. Ringsum hörte sie Reifen quietschen und rechnete jeden Moment mit dem Kreischen von Metall. Doch es blieb aus; einen Moment herrschte Stille, dann rollte der Verkehr weiter und legte an Tempo zu. Am Himmel donnerte ein Helikopter; sie sah, wie sich der Scharfschütze über den Lauf seiner Waffe beugte und den Verkehrsstrom im Auge behielt. Sie stellte sich hinter dem dunkel getönten Plexiglas seines Helms eine gelangweilte Miene vor.
    Was weiß ich?, fragte sie sich.
    Immer noch sehr wenig.
    Aber so ist das Spiel nicht gedacht, hielt sie dagegen. Er will, dass ich es am Ende entwirrt habe. Es wäre kein Rätsel, wenn er nicht erkannt werden wollte. Er will nur bestimmen, wann. Die Sache ist gefährlich, wurde ihr klar.
    Es gab eine Bar, das Last Stop Inn, etwa auf halber Strecke zwischen Miami und Islamorada, an der Peripherie eines exklusiven Einkaufszentrums, das die Bewohner der feineren, mit Mauern geschützten Vorstädte aufnahm. Sie ging gerne in diese Bar, nicht jeden Tag, aber doch oft genug, um mit einigen Barkeepern flüchtig bekannt zu sein und gelegentlich auch einen anderen Stammkunden wiederzuerkennen. Mit denen verband sie allerdings nichts – nicht einmal das eine oder andere belanglose Gespräch. Sie mochte einfach die oberflächliche Vertrautheit der namenlosen Gesichter, der beliebigen Stimmen, deren Klang sie kannte, der Kameraderie ohne Vorgeschichte. Sie scherte auf die Fahrbahn zur entsprechenden Ausfahrt aus.
     
    Der Parkplatz war zu drei Vierteln voll. Der schwarze Teer schimmerte in einem seltsamen Chiaroscuro von unterschiedlichen Lichtern; das erste Abendrot vermischte sich mit gelegentlichen Scheinwerferpaaren vom angrenzenden Highway. Die nahe gelegene Shoppingmall bot überdachte Gehwege aus Holz und sorgfältig angelegte Pflanzungen – im Wesentlichen Palmen und Farne, die wie ein Dschungel wirken sollten, so dass der Einkaufstrip zur Safari in einem gefälligen Regenwald wurde, in dem teure Boutiquen die wilden Tiere ersetzten. Die Wachleute der Mall trugen die Khakifarben von Großwildjägern zu Tropenhelmen, auch wenn ihre Waffen eher auf städtisches Ambiente zielten. Die Großspurigkeit des Nachbarn hatte auf das Last Stop Inn ein wenig abgefärbt, wenn auch ohne denselben finanziellen Aufwand. Ihre eigenen Anpflanzungen hatten rund um den Parkplatz schattige, dunkle Winkel geschaffen. Susan lief zügig an einer struppigen Palme vorbei, die am Eingang der Bar Wache stand.
    Der Hauptraum war schummrig beleuchtet. Es gab ein paar Tische, an denen Geschäftsleute in Gruppen saßen und mit gelockerten Krawatten an ihren Martinis nippten, während zwei Kellnerinnen sie zuvorkommend bedienten. Hinter der langen, dunklen Mahagonibar hatte ein einzelner Keeper, den sie nicht kannte, alle Hände voll zu tun. Er war jung, mit zottigem Haar und Koteletten wie ein Rockstar der Sechziger und fiel mit seinem Erscheinungsbild ein wenig aus dem Rahmen – eindeutig jemand, der sich einen anderen Job wünschte, vielleicht auch hatte, aber nebenbei Cocktails mixte, um über die Runden zu kommen.
    Die Hocker vor dem Tresen waren mit etwa zwei Dutzend Gästen besetzt, womit es recht voll, aber nicht eng war. Als Single-Bar war das Inn nicht wirklich geeignet – auch wenn wohl etwa ein Drittel der Kundschaft aus Frauen bestand –, dies war ein Ort zum Trinken, was ein gelegentliches Rendezvous nicht ausschloss. Es war weniger energiegeladen als die Bars, in denen man Beziehungen anknüpfte; man unterhielt sich nicht laut, und die Hintergrundmusik war nicht aufdringlich, sondern verhalten. Es war ein Ort, der für alles geschaffen war, was sich mit einem Glas in der Hand bewerkstelligen ließ.
    Susan setzte sich auf einen Hocker fast am Ende des Tresens, in einiger Entfernung zu den anderen Gästen. Der Barkeeper kam auf ihre Seite, wischte die Holzfläche mit einem Tuch ab und quittierte ihre Bestellung eines Scotch on the Rocks mit einem Nicken. Er kehrte fast unverzüglich mit ihrem Drink zurück, stellte ihn ihr hin, nahm ihre Bezahlung entgegen und kehrte ans andere Ende der Bar zurück.
    Sie zog ihr Notizbuch und einen Stift heraus, legte beides neben ihr Glas und beugte sich darüber, um mit der Arbeit zu

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