Das Rätsel
rumtrampeln, während du zusiehst.«
Bevor sie Gelegenheit hatte, etwas zu erwidern, machte der Mann plötzlich kehrt und verschwand mit zügigen Schritten entlang der Bar, bis sich sein breiter Rücken in der anonymen Masse der anderen Geschäftsanzüge verlor.
Sie brauchte eine Weile, um sich zu fassen.
Der Ausbruch von Obszönitäten hatte sie wie Ohrfeigen getroffen.Sie atmete hastig tief ein und sagte sich: Jeder ist gefährlich. Niemand ist sicher.
Sie merkte, wie verkrampft sie innerlich war, wie es ihr den Magen zur Größe einer Faust zusammengezogen hatte. Vergiss nicht, erinnerte sie sich. Sei immer auf der Hut, jeden Augenblick.
Sie drückte sich ihr Glas an die Stirn, auch wenn ihr nicht heiß war, und nahm dann einen großen Schluck, während sie aufsah und feststellte, dass der Barkeeper mit dem Rücken zu ihr arbeitete. Er schüttete Kaffeepulver in eine Espressomaschine. Sie bezweifelte, dass er den Mann hatte kommen sehen. Sie drehte sich einmal ganz auf ihrem Hocker herum, doch niemand schien auf irgendetwas zu achten, das außerhalb eines Radius von zwanzig Zentimetern lag. Schatten und Geräusche schienen unterschiedliche Botschaften auszusenden und wirkten verstörend. Sie lehnte sich ein Stück zurück und blickte vorsichtig die Bar entlang, um zu sehen, ob der Mann noch da war, doch sie konnte ihn nirgends entdecken. Sie versuchte, sich sein Gesicht vorzustellen, doch sie konnte sich nur noch an den Ton und die plötzliche Wut in seinem Flüstern erinnern. Sie wandte sich wieder der Botschaft auf dem Schreibblock vor ihr zu, starrte auf die Worte, dann wieder zum Barkeeper, der eine Kanne unter die Öffnung der Maschine hielt und einen Schritt zurücktrat, um dem steten schwarzen Tropfen zuzusehen.
Coffee
, dachte sie plötzlich. Kaffee wird aus Bohnen gemacht.
I have always bean/been
–
Ich war die ganze Zeit
…
Sie schrieb es auf und hob den Kopf.
Es kam ihr vor, als würde sie beobachtet, und wirbelte auf der Suche nach dem Mann noch einmal im Kreis. Doch auch diesmal ließ er sich nicht blicken.
Für einen Moment versuchte sie, das Gefühl abzuschütteln, doch vergeblich. Bedächtig nahm sie Stift und Block und steckte beides in ihre Handtasche neben die kleine Automatikpistole, die zuunterst lag. Als sie das beruhigende kühle Metall der Waffe spürte, witzelte sie: Zumindest bin ich nicht allein.
Susan taxierte die Situation: ein überfüllter Raum, Dutzende unzuverlässige Zeugen, wahrscheinlich niemand dabei, der sich auch nur an ihre Anwesenheit erinnern würde. Im Geist schritt sie den Weg zum Parkplatz ab, schätzte die Entfernung zu ihrem Auto und versuchte, sich an jeden dunklen Winkel zu erinnern, in dem der Mann, der ihr das Herz herausschneiden wollte, lauern könnte. Sie dachte daran, den Barkeeper zu bitten, sie hinauszubegleiten, bezweifelte jedoch, dass er dazu bereit war. Er stand allein hinter dem Tresen und würde seinen Job riskieren, wenn er seinen Posten aufgab.
Sie nahm noch einen Schluck von ihrem Drink. Du bist verrückt, dachte sie. Halt dich ans Licht, vermeide die Schatten, und dir wird nichts passieren.
Sie schob das Glas mit dem Rest Scotch von sich, nahm ihre Tasche, legte sich den langen Riemen über die rechte Schulter, so dass sie unauffällig die rechte Hand hineinstecken, die Pistole packen und den Finger am Abzugsbügel halten konnte.
Jemand musste einen Witz gerissen haben, denn an der Bar brach lautes Gelächter aus. Sie rutschte von ihrem Sitz und lief mit gesenktem Kopf zügig durch das Menschengewühl. Am Ende der Bar befand sich links von ihr eine Doppeltür mit einem Zeichen für die Damentoilette. Darüber stand in Rotschrift AUSGANG. Das leuchtete unmittelbar ein: Mache einen Umweg über die Damentoilette und gib dem Kerl Zeit, auf dem Parkplatz vor der Bar herumzulungern, da er vermuten muss, dass du durch die Eingangstür kommst; verschwindestattdessen durch eine Hintertür, laufe so schnell wie möglich zum Auto, wähle eine andere Route und fahre aus einer anderen Richtung nach Hause.
Falls er auf sie wartete, hätte sie einen Vorsprung. Vielleicht konnte sie ihn sogar ganz austricksen.
Im selben Moment drückte sie die Schwingtür auf und befand sich in einem schmalen Flur. Eine einzige, nackte Glühbirne warf ihr Licht auf fleckige, vergilbte Wände, an denen mehrere Kästen Alkoholika gestapelt waren. An einer anderen Wand führte sie ein handgemaltes Schild mit einem grob gezeichneten Pfeil Richtung Toiletten. Sie
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