Das Rätsel
in der Nacht in seinem Notizbuch festgehalten hatte. Falls der Mörder – egal, wer er war – die Tafel abgewischt hatte, was war daraus zu schließen?
Er hatte die Frage in seinem Büchlein mit zwei Worten beantwortet, die er schwarz in Bleistift geschrieben und dreimal unterstrichen hatte:
eine Menge
.
»Und, Professor? Was steht als Nächstes auf dem Programm? Noch mehr Befragungen? Wollen Sie mit dem Gerichtsmediziner reden und aus erster Hand erfahren, wie unser letztes Opfer gestorben ist? Was schwebt Ihnen vor?«
Martin grinste, doch es war ein Grinsen, hinter dem Clayton inzwischen die Wut erkennen konnte.
Er nickte. »Folgender Vorschlag: Sie gehen zum Gerichtsmediziner rüber und sagen ihm, wir bräuchten seinen Abschlussbericht bis heute Nachmittag. Wenden Sie alle Überredungskünste auf, der Mann wirkt nicht sehr zugänglich.«
»Er ist eine solche Aufgabe nicht gewohnt. Normalerweise kümmert sich das gerichtsmedizinische Institut darum, dass die Schulkinder ihre Impfungen bekommen und dass die Einwanderungsbehörde keine ansteckenden Krankheiten aus einem der anderen fünfzig Bundesstaaten oder aus dem Auslandhereinlässt. Autopsien von Mordopfern stehen normalerweise nicht auf seinem Terminkalender.«
»Dann machen Sie ihm eben ein bisschen Feuer unterm Hintern.«
»Und was genau, Professor, gedenken Sie zu tun, während ich mich auf unnachahmliche Weise unbeliebt mache?«
»Ich werde hier sitzen und jeden forensischen Aspekt bei jedem unserer Morde durchgehen, damit wir uns auf die Übereinstimmungen konzentrieren können.«
»Klingt faszinierend«, meinte der Detective und stand auf. »Klingt außerdem, als gäb’s im Moment nichts Wichtigeres zu tun.«
»Man weiß nie«, entgegnete Jeffrey. »Bei diesen Ermittlungen kommt der Durchbruch meist durch irgendein winziges Detail, das man in der Kleinarbeit findet.«
Martin schüttelte den Kopf. »Nein«, widersprach er, »Das glaube ich nicht. Natürlich trifft das auf eine Menge Morduntersuchungen zu. Schließlich lernt man so was an der Akademie. Aber hier nicht, Professor. Hier ist ganz was anderes gefragt.«
Der Detective lief zur Tür, drehte sich jedoch noch einmal um. »Deshalb sind Sie hier. Sie sollen rausfinden, was dieses Etwas ist. Vergessen Sie das nie, Professor.«
Jeffrey nickte, doch Martin war schon zur Tür hinaus, bevor er seine Reaktion gesehen hatte. Er wartete ein paar Minuten, dann stand er eilig auf, vergewisserte sich, dass sein Notizbuch in der Jacke steckte, und ging, denn er hatte nicht die geringste Absicht, das zu tun, was er gegenüber Martin behauptet hatte. Er verfolgte einen eigenen Plan, wie er was herausfinden konnte.
Die Redaktion der
New Washington Post
lag nicht weit vom Zentrum der Stadt, auch wenn Jeffrey bezweifelte, dass »Zentrum« die Stadtmitte angemessen beschrieb. Jedenfalls hatte sie mit keiner anderen Stadtlandschaft, die er je gesehen hatte, allzu viel gemein; es war ein Ort, an dem sich ein strenges Ordnungssystem hinter einem durchorganisierten Alltag versteckte. Das Straßennetz war monoton, die Pflanzungen an den Seiten gepflegt. Die Bürgersteige waren so großzügig bemessen wie eine Promenade. Es gab wenig von dem Mischmasch an Stilrichtungen und Kompromissen zwischen Wollen und Können, das die meisten Städte prägt. Und nichts von dem wilden Durcheinander, wenn Altes und Modernes unvermittelt aufeinanderprallen.
New Washington war eine Stadt, die auf dem Reißbrett ausgedacht, skizziert und vermessen worden war, die als Modell bereits fix und fertig festgestanden hatte, bevor der erste Spaten in die Erde stach.
Dabei war durchaus nicht alles gleichförmig. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Jeder Block hatte einen anderen Grundriss und war anders gestaltet. Was Jeffrey erdrückte, war die schlichte Tatsache, dass alles neu war. Außerdem konnte man nicht übersehen, dass die diversen Gebäude zwar von verschiedenen Architekten stammten, in der Planungsphase jedoch denselben Augen desselben Planungsausschusses gefallen mussten, so dass die Stadt zwar nicht einförmig wirkte, dafür aber einer einheitlichen Vision entsprach. Das fand er beklemmend.
Zugleich erkannte er allerdings, dass seine Abneigung wahrscheinlich vorübergehen würde. Bei seinem Weg die Main Street entlang stellte er fest, dass der Bürgersteig vom Unrat der Nacht gereinigt worden war und dass man wahrscheinlich nicht lange brauchte, um sich an diese neue Welt zu gewöhnen,und sei es auch nur, weil sie
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