Das Reich der Elben 01
Vorliebe von den Äfflingen; die scheinen sein Leib- und Magengericht zu sein. Andere Geschöpfe tötet er zwar, aber er hat ihr Fleisch immer verschmäht und allenfalls als Köder benutzt, um ein paar der geflügelten Affen anzulocken. Die sind in dieser Hinsicht nämlich etwas weniger wählerisch.«
»Diese Laute«, mischte sich Branagorn ein, »die hören sich aber nicht nur nach einem einzigen Riesenvogel an. Eher scheint hier irgendwo ein ganzes Nest zu sein.«
»Nest ist das richtige Wort, auch wenn Ráabor glücklicherweise keine Möglichkeit mehr hat, Eier zu legen und sich fortzupflanzen, seit das letzte Weibchen seiner Art vor einem Äon starb«, erklärte der Augenlose. »Das Nest liegt in einer Höhle, die dieser ähnelt und eine Verbindung nach außen hat. Über ein Labyrinth zahlloser Stollen ist diese Nesthöhle mit den anderen in den Stein gehauenen Räumen der Ouroungour-Stadt verbunden, und so wirkt der gesamte Berg wie ein Klangkörper.«
»Das gigantische Instrument eines Riesenvogels«, sagte
Keandir staunend. »Und wo finden wir den Feuerbringer?«
»Er muss hier irgendwo sein«, sagte der Augenlose gleichzeitig mit einer Geisterstimme und dem zahnlosen Mund. Er machte einen sehr konzentrierten Eindruck und murmelte ein paar Silben, die vielleicht eine magische Formel in einer uralten Sprache waren.
Branagorn wandte sich an seinen König und flüsterte: »Ich dachte, die Sinne unseres Retters sind so stark, dass er damit sogar wahrnehmen kann, was sich auf dem Festland abspielt.«
Bevor Keandir darauf antworten konnte, tat dies der Augenlose selbst. »Der Feuerbringer vermag sich teilweise gegen mich abzuschirmen, deshalb habe ich im Moment Schwierigkeiten, ihn aufzuspüren. Aber ich spüre, dass er ganz in der Nähe ist.«
Keandir zog sein Schwert und schaute auf die auf magische Weise wieder zusammengeschweißte Klinge. Trolltöter oder doch Schicksalsbezwinger – es würde sich noch zeigen, welcher Name wirklich zu dem Schwert passte, überlegte er. Dann schaute er sich suchend um und rief: »Wenn du dort irgendwo bist, Feuerbringer, dann zeige dich!«
»Ihr könnt ihn rufen, solange Ihr wollt. Ich fürchte, Ihr seid ihm völlig gleichgültig«, sagte der Augenlose. »Um zu erkennen, ob Ihr eine Gefahr für ihn seid, ist er zu einfältig.
Aber wenn er merkt, dass der Bann meines Bruders mich nicht mehr hält, wird er etwas unternehmen.« Und dann fügte er rätselhaft hinzu: »Es kann natürlich auch sein, dass er zunächst seine Lakaien schickt.«
Tapsende Schritte waren zu hören, selbst für die Ohren eines
Elben sehr leise.
»Äfflinge!«, entfuhr es Branagorn, der ebenfalls nach seinem
Schwert griff. »Es müssen Hunderte sein!«
»Sie scheinen sich aus verschiedenen Richtungen zu nähern!«, murmelte Keandir. Wie ein Rascheln klang der Schritt ihrer nackten Füße auf dem kalten Stein jener Gänge, die sternförmig von dieser Königshalle ausgingen. Hier und da waren auch die Geräusche ihrer Lederschwingen zu hören. Keandir blickte auf und bemerkte, dass in die Decke röhrenartige Zugänge mündeten, offenbar für Wesen, die sich fliegend fortbewegten.
»Einmal am Tag hören sie den Geisterruf ihres toten Königs«, erklärte ihnen der Augenlose. »Dann kommen sie her, um ihre Speere im magischen Feuer zu härten. Das hat mein Bruder Xaror so eingerichtet. Diesem Zauber können sie sich nicht entziehen.«
»Wir können unmöglich gegen Hunderte dieser geflügelten
Bestien kämpfen!«, sagte Keandir.
»Wer sagt denn, dass Ihr das müsst?«, entgegnete der
Augenlose.
»Es wundert mich, dass Ihr sie nicht mehr fürchtet«, sagte der Elbenkönig. »Ich dachte, es ginge für Euch darum, eine äonenlange Gefangenschaft zu beenden. Oder ist für Euch das alles nicht mehr als ein Spiel?«
»Sagen wir so: Für mich hängt nicht ganz so viel von dieser Sache ab wie für Euch – denn ich hätte die Möglichkeit, einfach einen weiteren Äon abzuwarten.«
Er deutete mit dem Totenschädel am Ende des dunklen Stabes auf einen der ersten Ouroungour, die die Königshalle erreichten. Der Äffling flatterte aufgeregt mit seinen Lederschwingen und senkte einen der beiden Dreizacke, die er in den Pranken hielt. Sein Maul öffnete sich, sodass die vier mächtigen Hauer hervortraten. Mit seinem schrillen Schrei warnte er offenbar die nachfolgenden Artgenossen.
»Ihre im magischen Feuer gehärteten Waffen könnten mich töten, das ist schon richtig«, fuhr die Geisterstimme des Augenlosen fort. »Aber wir
Weitere Kostenlose Bücher