Das Reich der Katzen (German Edition)
steigerte sich ins Unerträgliche, als
sie Rocky und Lucky noch einmal sterben sah. Bis auf zwei hatten es auch
Valentins Brüder nicht geschafft. Im Tod hatten sie wieder ihre menschliche
Gestalt angenommen und Onisha hatte gesehen, dass es sich um sehr junge Männer
gehandelt hatte. Doch wenn sie ehrlich war, hatte sie keine tiefe Trauer
empfunden. Die Mönche waren ihr fremd geblieben. Sie hatten die Isolation vor
der Katzengruppe selbst gewählt. Aber dennoch ging ihr Tod nicht völlig spurlos
an Onisha vorbei. Der Preis ist zu hoch gewesen, dachte sie immer wieder, er
ist zu hoch!
Nicht einmal der Gedanke an Lavinas Ende konnte sie richtig
glücklich stimmen. Denn sie wussten immer noch nicht, ob sie die verdorbene
Seele der Magierin gänzlich zerstört hatten.
Aber wenn sie an den Sarkophag dachte und die darum versammelten
Katzenfiguren, wusste Onisha, dass die Richtigen das Ziel erreicht hatten. Dort
waren dreizehn schwarze Katzen gewesen, fiel ihr ein.
Ob vielleicht Valentins Brüder aus dem Reich der Toten
zurückkehrten, wie es das Pergament DAS BUCH DER TORE besagt hatte?
Sie las in Valentins Augen die Antwort. Das stimmte sie
versöhnlich, wenngleich der Schmerz in ihr nicht nachließ. Doch da war noch
eine unbeantwortete Frage zwischen ihnen.
»Wer ist Sachmet, Valentin?«, fragte sie leise.
»Du«, antwortete er und lächelte sanft. »Aber das weißt du sicher
mittlerweile.«
Onisha wiegte den Kopf hin und her. »Wissen wäre zu viel gesagt,
ich ahnte es. Aber wer, was ...« Sie verhaspelte sich.
Valentins Lächeln wurde eine Spur herzlicher. »Sachmet, die
Löwenköpfige, wurde von dem Sonnengott Re als Strafe für die Sünden der
Menschen erschaffen. Sie kann den Menschen Krankheiten senden, aber Ärzten und
Priestern auch die Möglichkeit zur Heilung. Man fürchtet Sachmets entfesselte
Grausamkeit und Wildheit, obwohl sie zugleich Leben spenden kann.«
»Na toll«, entfuhr es Onisha. »Das heißt also, ich bin die
Fleisch gewordene Sünde. Hört sich alles nicht sehr sympathisch an.«
»In etwa. Du hast aber auch die Macht, die Sünden abzuschaffen
... oder sie zumindest einzuschränken.« Sein Lächeln wurde wehmütig. »Zumindest
für ein Weilchen. Du und Bastet seid die Garanten für ein friedvolles Leben im
Universum. Und ein friedvolles Miteinander von Mensch und Tier. Verschenkt
diese Möglichkeit nicht. Die Menschen glauben nicht mehr an Götter, zeigt
ihnen, dass das der falsche Weg ist. Zeigt ihnen, was alles mit einem bisschen
Verstand und Demut möglich ist.«
»Und wie ...?« Onisha blickte in das Feuer, das plötzlich nicht
mehr wie eine offene rote Wunde züngelte, sondern einen goldenen Ton angenommen
hatte. Einzelne Feuerzungen bildeten Arme und griffen spielerisch nach ihr.
Sachmet, Sachmet...
Das Flüstern kam nicht mehr aus Onishas Kopf, sondern jetzt
eindeutig aus der Orakelschale. Onisha sah erneut Valentin an. Und verstand.
Was hatte die Inschrift des Sarkophags besagt? Zwei in Freundschaft
verbundene Seelen verschiedener Herkunft . Das konnten nur Fleur und sie
sein.
»Versehen mit dem Mantel des heiligen Feuers«, murmelte Onisha.
»Natürlich.«
»Du verstehst?«, fragte Valentin leise.
Onisha nickte. »Ich glaube, wir müssen uns jetzt Lebewohl sagen«,
murmelte sie mit fester Stimme.
Sie hob stolz den Kopf. Wuchs innerlich über sich hinaus. Ihre
Haltung war plötzlich selbstbewusst und würdevoll. Und in ihren Augen glomm
etwas, was Valentin weise lächelnd erkannte. Er machte mit dem Kopf die Andeutung
einer Verbeugung. Eine Respektbekundung. Und auch die anderen blickten demütig
nieder, traten einen Schritt beiseite und bildeten eine Gasse, durch die Onisha
stolzierte.
»Wir sehen uns wieder, Gebieterin.« Valentin verbeugte sich erst
vor ihr und dann vor Fleur.
Die Falbkatze hob das klassische Gesicht gen Himmel und blickte
dann Onisha an. Die erwiderte den Blick mit einem aufmunternden Lächeln.
Dann gingen sie los. Schritten gemeinsam an das Orakel heran,
holten tief Luft und sprangen in die goldene Schale – in das heilige Feuer.
Onisha war dankbar, endlich zu sterben. Sie hatte sich schon lange gewünscht,
dass der Schmerz aufhörte, den der Tod ihrer Katzenfreunde in ihr hervorgerufen
hatte. Aber auch das Sehnen, endlich ihre eigentliche Bestimmung zu erfüllen,
hatte im Laufe der Reise überhandgenommen.
Die Hitze, die sie und Fleur einschloss, züngelte erst zärtlich
ihre Körper entlang, spielte dann stärker mit ihnen und wurde
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