Das Reich der Sieben Städte
zurück. Die Pyramide aus Köpfen war nur noch ein formloser Hügel.
Heboric kam zu ihr gekrochen, sein Gesicht war schlammverschmiert. »Dieser Schlamm!«, keuchte er, machte dann eine Pause, um etwas davon auszuspucken. »Schau doch, was da drin ist!«
Sie fühlte sich fast zu elend, um zu antworten, nahm sich aber trotzdem eine Hand voll Schlamm und betrachtete sie. »Er ist voller Samen«, sagte sie. »Und halb verfaulter Pflanzenstücke ...«
»Ja! Grassamen und verfaulte Gräser – begreifst du denn nicht, Mädchen? Da unten ist kein Meeresgrund. Da ist eine grasbewachsene Steppe. Eine überschwemmte Steppe. Dieses Gewirr ist überflutet worden. Erst vor kurzem.«
Sie gab ein unwilliges Geräusch von sich; sie hatte keine Lust, sich von seiner Aufregung anstecken zu lassen. »Und – ist das eine Überraschung? Man kann nicht mit dem Schiff über eine Grassteppe segeln, oder kannst du das?«
Er kniff die Augen zusammen. »Da ist was dran, Felisin.«
Der Schlamm um ihre Schienbeine fühlte sich merkwürdig an – krabbelnd, ruhelos. Sie achtete nicht weiter auf den ehemaligen Priester, sondern watete zum Achterdeck. So hoch war die Woge nicht gekommen. Gesler und Stürmisch waren beide am Steuerruder; sie brauchten alle vier Hände, um den Kurs zu halten. Kulp stand bei ihnen. Er wartete darauf, den Mann abzulösen, den zuerst die Kräfte verließen. Mittlerweile hatte er allerdings schon sehr lange gewartet. Offensichtlich trugen Gesler und Stürmisch eine Art Wettstreit aus; es war jetzt eine Frage des Stolzes – keiner wollte vor dem anderen aufgeben. Die Art und Weise, wie sie sich angrinsten, bestärkte Felisin in ihrer Überzeugung. Diese Idioten! Sie werden gleichzeitig zusammenbrechen, und dann muss der Magier ganz allein das Ruder halten.
Der Himmel über ihnen befand sich noch immer in Aufruhr. Blitze zuckten in alle Richtungen. Die Oberfläche des Meeres widersetzte sich dem kreischenden Wind; das schlammige Wasser hob und senkte sich in einer trägen, ziellosen Dünung. Obwohl ein Dutzend Ruder abgebrochen waren, ruderten die kopflosen Ruderer unaufhörlich weiter; die zersplitterten Schäfte bewegten sich im Gleichklang mit jenen, die noch immer das Wasser durchpflügten. Die Trommel dröhnte ohne Pause, antwortete dem Donnergrollen am Himmel mit ihrer genau bemessenen, unerschütterlichen Geduld.
Sie erreichte die Stufen, die zum Achterdeck hinaufführten, kletterte aus dem Schlamm heraus und blieb einen Augenblick später überrascht stehen. Der Schlamm floh von ihrer Haut, als wäre er lebendig; er glitt von ihren Beinen, um sich wieder mit dem wabbelnden Teich zu vereinen, der das Hauptdeck bedeckte.
Heboric, der in der Nähe des Hauptmasts kauerte, schrie plötzlich auf. Seine Blicke waren auf den Schlamm um ihn herum gerichtet, dessen Zittern und Beben immer stärker wurde. »Da ist irgendwas drin!«
»Kommt hierher!«, rief Wahr, der auf den Stufen zum Vorderdeck stand, und streckte einen Arm aus. Baudin hatte den anderen Arm des jungen Burschen gepackt und gab ihm auf diese Weise Halt. »Schnell! Da kommt was raus!«
Felisin stieg eine Stufe höher.
Der Schlamm verwandelte sich, schob sich zu Formen zusammen, die an menschliche Gestalten erinnerten. Feuersteinklingen erschienen, einige grau, die anderen von tiefem Chalcedon-Rot. Langsam schälten sich verdreckte, durchnässte Felle heraus, die auf breiten, knochigen Schultern lagen. Polierte Knochenhelme schimmerten golden und braun – die Schädel von Tieren, von denen Felisin sich nicht vorstellen konnte, dass sie irgendwo existierten. Jetzt waren lange Strähnen verfilzter Haare zu sehen, meist schwarz oder braun. Der Schlamm schien sich eher zu verändern, als von den Gestalten abzufallen. Diese Wesen waren eins mit ihm.
»T'lan Imass!«, schrie Kulp vom Achterdeck her. Er klammerte sich an den Besanmast. Die Silanda wurde von wilder Energie hin und her geschleudert. »Logros T'lan!«
Sie waren zu sechst. Alle trugen Felle, außer einem, der kleiner als die anderen war und zuletzt erschien. Er war mit den öligen, zerzausten Federn farbenprächtiger Vögel geschmückt, und sein langes Haar war eisengrau mit roten Strähnen. Muschelschalen, Geweihteile und Knochenschmuck hingen über seinem verrotteten Lederhemd, doch er schien keine Waffen zu tragen.
Ihre Gesichter waren verwelkt, die kräftigen Knochen lagen direkt unter der Haut. Ihre Augenhöhlen waren schwarze Abgründe. Die Wesen besaßen borstige Überreste von
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